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 Dossier II L HOMME III Quelques réponses  127 Sigmund Freud Sigmund Freud (1856 in Freiberg/Mähren geboren) stammt aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Von 1859 bis zu seiner Emigration lebt er in Wien. Er studiert Medi-  zin und wird sehr stark von Materialismus und Darwinis- mus geprägt. Eine Lehre bei Charcot in Paris führt zur Beschäftigung mit den Neurosen, besonders mit der Hysterie. Freud entdeckt den Unterschied von bewußten und unbewußten Seelenzuständen. In den 90er Jahren entwickelt er die Grundzüge der Psychoanalyse, der er durch zahlreiche bedeutende Schriften zur akademischen Reputation und zum Durchbruch bei einem breiteren Publikum verhilft. 1910 erfolgt die Gründung der „Inter- nationalen Psychoanalytischen Vereinigung“. Die Erfa- hrung des Weltkriegs führt Freud zum Studium der psychischen Ursachen menschlicher Aggression. Die späten Werke zeigen Freuds Weg von der Medizin über die Psychologie zu Philosophie und Kulturtheorie. 1933 werden Freuds Schriften von den Nazis verbrannt; beim  Anschluß geht Freud in die Emigration (1938). Er stirbt 1939 in London. Hauptwerke: Studien über Hysterie (1895, zusammen mit J. Breuer); Die Traumdeutung (1900); Drei Abhandlungen zur Sexual- theorie (1905); Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewußten (1905); Zur Psychopathologie des Alltagsle- bens (1901); Totem und Tabu (1913); Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915); Selbstdarstellung (1925); Jenseits des Lustprinzips (1920); Die Zukunft einer Illusion (1927); Das Unbehagen in der Kultur (1930); Warum Krieg? (1932; Briefwechsel mit A. Einstein); Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939). Freud beschreibt hier die Struktur des seelischen Apparates und die Instanzen, die in ihm wirken. Bemerkenswert ist in diesem Text auch die Beschreibung der beiden Grund- triebe alles Seelenlebens: Neben den Eros tritt (im Gegen- satz zu den frühen Schriften) der Destruktions- oder  Todestrieb (Thanatos). Leben und Werk  Zum Text: Der Mensch als psychischer  Apparat

Freud : Der psychische Apparat

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  • Dossier II LHOMME

    III Quelques rponses 127

    Sigmund Freud

    Sigmund Freud (1856 in Freiberg/Mhren geboren) stammt aus einer jdischen Kaufmannsfamilie. Von 1859 bis zu seiner Emigration lebt er in Wien. Er studiert Medi-zin und wird sehr stark von Materialismus und Darwinis-mus geprgt. Eine Lehre bei Charcot in Paris fhrt zur Beschftigung mit den Neurosen, besonders mit der Hysterie. Freud entdeckt den Unterschied von bewuten und unbewuten Seelenzustnden. In den 90er Jahren entwickelt er die Grundzge der Psychoanalyse, der er durch zahlreiche bedeutende Schriften zur akademischen Reputation und zum Durchbruch bei einem breiteren Publikum verhilft. 1910 erfolgt die Grndung der Inter-nationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Die Erfa-hrung des Weltkriegs fhrt Freud zum Studium der psychischen Ursachen menschlicher Aggression. Die spten Werke zeigen Freuds Weg von der Medizin ber die Psychologie zu Philosophie und Kulturtheorie. 1933 werden Freuds Schriften von den Nazis verbrannt; beim Anschlu geht Freud in die Emigration (1938). Er stirbt 1939 in London.

    Hauptwerke:Studien ber Hysterie (1895, zusammen mit J. Breuer); Die Traumdeutung (1900); Drei Abhandlungen zur Sexual-theorie (1905); Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewuten (1905); Zur Psychopathologie des Alltagsle-bens (1901); Totem und Tabu (1913); Zeitgemes ber Krieg und Tod (1915); Selbstdarstellung (1925); Jenseits des Lustprinzips (1920); Die Zukunft einer Illusion (1927); Das Unbehagen in der Kultur (1930); Warum Krieg? (1932; Briefwechsel mit A. Einstein); Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939).

    Freud beschreibt hier die Struktur des seelischen Apparates und die Instanzen, die in ihm wirken. Bemerkenswert ist in diesem Text auch die Beschreibung der beiden Grund-triebe alles Seelenlebens: Neben den Eros tritt (im Gegen-satz zu den frhen Schriften) der Destruktions- oder Todestrieb (Thanatos).

    Leben und Werk

    Zum Text:Der Menschals psychischer Apparat

  • LHOMME Dossier II

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    Die Psychoanalyse macht eine Grundvoraussetzung, de-ren Diskussion philosophi schem Denken vorbehalten bleibt, deren Rechtfertigung in ihren Resultaten liegt. Von dem, was wir unsere Psyche (Seelenleben) nennen, ist uns zweierlei bekannt, erstens das krperliche Organ und Schauplatz desselben, das Gehirn (Nervensystem), andererseits unsere Bewutseinsakte, die unmittelbar gegeben sind und uns durch keinerlei Beschreibung nher gebracht werden knnen. Alles dazwischen ist uns unbekannt, eine direkte Beziehung zwischen beiden Endpunkten unseres Wissens ist nicht gegeben. Wenn sie bestnde, wrde sie hchstens eine gute Lokalisation der Bewutseinsvorgnge liefern und fr deren Verstndnis nichts leisten. []

    Zur Kenntnis des psychischen Apparates sind wir durch das Studium der individuellen Entwicklung des mensch-lichen Wesens gekommen. Die lteste dieser psychi-schen Provinzen oder Instanzen nennen wir das Es; sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem aber die aus der Krperorganisation stammenden Triebe, die hier einen ersten uns in seinen Formen unbekannten psychischen Ausdruck finden.

    Unter dem Einflu der uns umgebenden realen Auenwelthat ein Teil des Es eine besondere Entwicklung erfahren. Ursprnglich als Rindenschicht mit den Organen zur Reizaufnahme und den Einrichtungen zum Reizschutz ausgestattet, hat sich eine besondere Organisation herge-stellt, die von nun an zwischen Es und Auenwelt vermit-telt. Diesem Bezirk unseres Seelenlebens lassen wir den Namen des Ichs.

    Die hauptschlichen Charaktere des Ich. Infolge der vorgebildeten Beziehung zwi schen Sinneswahrnehmung und Muskelaktion hat das Ich die Verfgung ber die willkrlichen Bewegungen. Es hat die Aufgabe der Selbst-behauptungen, erfllt sie, indem es nach auen die Reize kennenlernt, Erfahrung ber sie aufspeichert (im Ge-dchtnis), berstarke Reize vermeidet (durch Flucht),

    3Der Mensch

    als psychischerApparat

    FREUD, Sigmund,Abri derPsychoanalyse,Frankfurt a. M. 1953,p. 6 sqq.

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    migen Reizen begegnet (durch Anpassung) und end-lich lernt, die Auenwelt in zweckmiger Weise zu seinem Vorteil zu verndern (Aktivitt); nach innen gegen das Es, indem es die Herrschaft ber die Trieban-sprche gewinnt, entscheidet, ob sie zur Befriedigung zugelassen werden sollen, diese Befriedigung auf die in der Auenwelt gnstigen Zeiten und Umstnde verschiebtoder ihre Erregungen ganz unterdrckt. []

    Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, whrend der der werdende Mensch in Abhngigkeit von seinen Eltern lebt, bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz heraus, in der sich dieser elterliche Einsatz fortsetzt. Sie hat den Namen des ber-Ichs erhalten. Insoweit dieses ber-Ich sich vom Ich sondert und sich ihm entgegenstellt, ist es eine dritte Macht, der das Ich Rechnung tragen mu.

    Eine Handlung des Ichs ist dann korrekt, wenn sie gleichzeitig den Anforderungen des Es, des ber-Ichs und der Realitt gengt, also deren Ansprche miteinan-der zu vershnen wei. []

    Die Macht des Es drckt die eigentliche Lebensabsicht des Einzelwesens aus. Sie besteht darin, seine mitge-brachten Bedrfnisse zu befriedigen. Eine Absicht, sich am Leben zu erhalten und sich durch die Angst vor Gefahren zu schtzen, kann dem Es nicht zugeschrieben werden. Dies ist die Aufgabe des Ichs, das auch die gnstigste und gefahrloseste Art der Befriedigung mit Rcksicht auf die Auenwelt herauszufinden hat. Das ber-Ich mag neue Bedrfnisse geltend machen, seine Hauptleistung bleibt aber die Einschrnkung der Befrie-digungen.

    Die Krfte, die wir hinter den Bedrfnisspannungen des Es annehmen, heien wir Triebe. Sie reprsentieren die krperlichen Anforderungen an das Seelenleben. Ob-wohl letzte Ursache jeder Aktivitt, sind sie konservati-ver Natur; aus jedem Zustand, den ein Wesen erreicht hat, geht ein Bestreben hervor, diesen Zustand wiederherzu-

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    stellen, sobald er verlassen worden ist. Man kann also eine bestimmte Anzahl von Trieben unterscheiden, tut es auch in der gewhnlichen bung. Fr uns ist die Mg-lichkeit bedeutsam, ob man nicht all diese vielfachen Triebe auf einige wenige Grundtriebe zurckfhren kn-ne. Wir haben erfahren, da die Triebe ihr Ziel verndern knnen (durch Verschiebung), auch da sie einander ersetzen knnen, indem die Energie des einen Triebs auf einen anderen bergeht. Der letztere Vorgang ist noch wenig gut verstanden. Nach langem Zgern und Schwan-ken haben wir uns entschlossen, nur zwei Grundtriebe anzunehmen, den Eros und den Destruktionstrieb. (Der Gegensatz von Selbsterhaltungs- und Arterhaltungstrieb sowie der andere von Ichliebe und Objektliebe fllt noch innerhalb des Eros.) Das Ziel des ersten ist, immer grere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung, das Ziel des anderen im Gegenteil, Zusammen-hnge aufzulsen und so die Dinge zu zerstren. Beim Destruktionstrieb knnen wir daran denken, da als sein letztes Ziel erscheint, das Lebende in den anorganischen Zustand zu berfhren. Wir heien ihn darum auch Todestrieb. Wenn wir annehmen, da das Lebende spter als das Leblose gekommen und aus ihm entstanden ist, sofgt sich der Todestrieb der erwhnten Formel, da ein Trieb die Rckkehr zu einem frheren Zustand anstrebt. Fr den Eros (oder Liebestrieb) knnen wir eine solche Anwendung nicht durchfhren. Es wrde voraussetzen, da die Lebende Substanz einmal eine Einheit war, die dann zerrissen wurde und die nun die Wiedervereinigung anstrebt.

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    n Auf welcher philosophischen Hypothese beruht die Psychoanalyse?

    o Was ist das Es? Zeigen Sie, wie sich das Ich aus dem Es entwickelt.

    p Welche Rolle soll das Ich im Seelenleben spielen?

    q Versuchen Sie, die mglichen Reaktionen des Ichs (Flucht, Anpassung, Aktivitt) anhand von Beispielen zu erlutern.

    r Beschreiben Sie das Verhltnis von Es, Ich und ber-Ich.

    s Was ist ein Trieb? Schlagen Sie auch in einem Wrterbuch nach.

    t Welche Grundtriebe gibt es? Welche Ziele haben diese Triebe?

    Arbeitsvorschlge