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Beihefte der Francia Bd. 37 1994 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht- kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver- folgt werden.

Beihefte der Francia - perspectivia.net · anciennes chartes etles origines del'abbayed e Wissembourg, in: ... Ich fasse das Ergebnis noch einmal ... für beide Grup-. Ingrid Heidrich

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Beihefte der Francia

Bd. 37

1994

Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi-kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver-folgt werden.

INGRID HEIDRIC H

D I E U R K U N D E N P I P P I N S D . M . U N D KAR L M A R T E L L S : B E O B A C H T U N G E N Z U I H R E R Z E I T L I C H E N

U N D R Ä U M L I C H E N S T R E U U N G

Es is t nicht s Neues , da ß die Quellenarmu t un d di e prokarolingische Tenden z de r historiographischen Quelle n di e Haupthinderniss e fü r di e Erarbeitun g eine s gesi -cherten Bilde s de r Zeit Kar l Martell s darstellen . Ebens o weni g neu ist es, daß trot z dieser bekannte n Hinderniss e Historike r da s Vorhaben , ei n Bil d de r Zei t Kar l Martells zu erstellen, immer wieder in Angriff nehmen . Unternimmt man , wie ich es hier beabsichtige , de n Versuch, sic h fü r di e Gewinnun g historische r Aussage n ga r nur auf die urkundliche Überlieferung z u beschränken, setz t man sich dem Einwand aus, da ß de r Zufal l un d di e Dürftigkei t de r handschriftliche n Überlieferun g nu r punktuelle Einsichte n erlaubte n un d überhaup t kein e Schlüss e zuließen . Diese r Einwand ist , recht besehen, kein anderer als der, der denjenigen trifft , de r überhaupt über ein e Zei t mi t spärlicher un d gefilterter Quellenüberlieferun g arbeitet .

Die Beschränkun g au f di e urkundlich e Überlieferung , un d da s möcht e ic h hie r zeigen, kan n unte r de r Voraussetzun g neu e Einsichte n eröffnen , da ß ma n ein e vergleichende Betrachtungsweis e wählt , als o de n Gesamtbestan d überlieferte r Urkunden eine s Ausstellers zu dem entsprechenden Gesamturkundenbestan d ande -rer vergleichbarer Aussteller der gleichen Zeit und des gleichen Raumes in Beziehung setzt.

Von de m Ausstelle r Kar l Martel l sin d un s sech s zweifello s echte , vollständig e Urkunden abschriftlic h überliefert , jedoc h kei n einzige s Original 1. Daz u komme n neun weiter e zweifello s echt e Urkunde n i n anderweitige n Erwähnunge n al s soge -nannte Deperdita 2. Dre i Urkunde n wurde n au f den Namen Kar l Martell s gefälsch t (für di e Reichenau und für Echternach3, und drei weiteren Deperdita-Erwähnunge n liegen Fälschungen auf den Namen Kar l Martells zugrunde4. Die vollständig überlie-ferten Urkunde n un d die sicher ode r ungefäh r datierbare n Deperdit a stamme n au s folgenden Jahren : ein e von 718, eine von 720, drei von oder u m 723 , eine von 726,

1 MG H Abt. 3 Diplomata 1 , Diplomatum imperii T. 1, hg. v. Kar l August Friedric h PERT Z Hannove r 1872, Diplomat a maioru m domu s e stirp e Arnulforu m Nr . 9, 10 , 11 , 12 , 1 4 S . 97-102, sowi e de r Schutzbrief für Bonifatius in: MGH Abt. 4a Epistolae selectae Bd. 1 . Die Briefe des Hl. Bonifatius und Lullus, hg . v. Michae l TANGL , 2 . unveränderte Auflag e Berli n 1955 , Nr. 22 S.36ff . Regeste n z u allen sechs Urkunde n mi t Angaben neuere r Editione n be i Ingrid HEIDRICH , Titulatu r un d Urkunden der arnulfingischen Hausmeier , in: Archiv für Diplomatik Bd . 11/12 (1965/66), Nr. 7-12 S. 240-242.

2 HEiDRiCH,Titulatur , Dep . Nr. 28-31, 34-38 , S . 271-273. 3 Fü r Echternach PERT Z Nr. 13 S. 100, HEIDRICH, Titulatur, Nr. F A 5 S. 261. Neueditio n der Fälschun-

gen auf den Namen Kar l Martells für die Reichenau von HEIDRICH in : Die Gründungsurkunden der Reichenau, hg. v. Peter CLASSEN (Vorträge und Forschungen Bd. 24), Sigmaringen 1977 , S. 81-88.

4 HEIDRICH , Titulatur , Dep. Nr. 39-41, S.273f .

24 Ingrid Heidric h

eine von ca . 731 , und di e letzt e is t 74 1 kurz vo r de m Tod Kar l Martell s ausgestell t worden5.

Zum Vergleic h seie n zunächs t di e Urkunde n au f de n Name n vo n Kar l Martell s Vater Pippin d. M. herangezogen . Fü r Pippin d. M. is t ebenfall s kei n Origina l über -liefert, dagege n fün f siche r echte , vollständige , abschriftlic h erhalten e Urkunden 6; außerdem siebzeh n sogenannt e Deperdita , dene n echt e Urkunden zugrund e lagen 7. Vier Urkunden wurde n au f den Namen Pippins d. M. gefälscht8 un d zwe i sogenann -ten Deperdit a Pippins liegen Fälschunge n zugrunde 9. Di e vollständi g überlieferte n Urkunden un d di e datierbare n Deperdit a stamme n au s folgende n Jahren : ein e vo n 691, el f au s de m Zeitrau m 70 2 bi s 70 8 un d di e letzt e Urkund e is t i m Todesjah r Pippins 714 ausgestellt , z u eine m Zeitpunkt , al s Pippin bereits schwe r erkrank t war10.

Von Pippin und Kar l sin d als o jeweil s ein e kur z vo r de m To d ausgestellt e Urkunde überliefert . Fü r Pippin häufen sic h di e urkundliche n Verfügunge n i n erstaunlichem Ma ß zwische n 70 2 un d 708 , mi t große m Abstan d z u jeweil s eine r Urkunde vor und nach diesem Zeitraum. Gan z so deutlich is t das »Häufungsphäno -men« fü r Kar l Martel l nicht , doc h is t de r Abstan d zwische n de r Zei t einigermaße n kontinuierlich tradierte r Urkunde n un d de m letzten , kurz vo r dem Tod ausgefertig -ten Dokumen t noc h deutliche r al s be i Pippin. Für Pippin ist de r Zeitrau m 70 2 bis 708 relativ dicht urkundlich dokumentiert , fü r Kar l Martell der Zeitraum 71 8 bis ca. 731.

Rechnet man überliefert e Urkunde n un d au f echte n Urkunden beruhend e Deper -dita zusammen , s o komme n wi r fü r Kar l Martel l au f eine n Gesamtbestan d vo n fünfzehn, fü r Pippin d. M. soga r au f eine n Gesamtbestan d vo n zweiundzwanzi g urkundlichen Verfügungen . Die s is t i m Bereic h de r sog . »privaten « Urkundenaus -steller de s Zeitraum s absolu t singular. Wenn un s überhaup t meh r al s eine Urkund e auf den Namen eines »privaten« Ausstellers überliefert ist , wie etwa im Falle Irminas für ihr e Stiftun g Echternach 11, dan n doc h stet s nu r fü r eine n Empfänger . Vo n alle n fränkischen Adlige n habe n nu r di e Hausmeie r Pippin d. M. und Kar l Martel l eine n so umfänglichen, fü r unterschiedlich e Empfänge r ausgestellte n Urkundenbestan d i n unserer Überlieferun g hinterlassen .

Zum Vergleic h kan n nich t nu r di e übrig e zeitgenössisch e privaturkundlich e Überlieferung, sonder n müssen auc h die merowingischen Königsurkunde n herange -zogen werden . Fü r de n Zeitrau m 69 1 bi s 741 , als o de n Vergleichszeitrau m de r überlieferten Urkunde n Pippins d. M. und Kar l Martells , sind uns einschließlic h de r Deperdita (nac h de r List e von Stumpf , di e allerding s durc h einzeln e weiter e Stück e

5 718 : HEIDRICH , Titulatur S. 240, A 7; 720 : ebd . A 8; 723 : ebd . A 9, A 10, Dep . Nr . 37 , S . 273; 73 1 : ebd . Dep. Nr . 38 S.273; 741 : ebd. A 12, S. 242.

6 HEIDRICH , Titulatur S.238f, A 2-A 4 , ebd. S.248 , A Metz 1 . 7 HEIDRICH , Titulatur S . 266-269, Dep . Nr . 6-22. 8 HEIDRICH , Titulatur S . 253-256, F A 1 - F A 4 . 9 HEIDRICH , Titulatu r S.270, Dep . Nr . 23, 24 .

10 691 : HEIDRICH , Titulatur S.248, A Metz 1 ; 702-708: ebd . S.238f, A 2-A 4 , S.268f, Dep . Nr . 15-22.; 714: ebd . S . 239, A 5.

11 Camille WAMPACH, Geschicht e der Grundherrschaft Echternac h 12 (Quellenband), Luxembur g 1930 , Nr. 3, 4 , 6 , 9 , 10 , 12.

Die Urkunden Pippins d. M . und Kar l Martells 25

zu ergänze n ist ) fü r Chlodwi g III. (691-695) sechzeh n echt e Urkunden 12, fü r Childebert III. (695-711) achtundzwanzi g i m wesentliche n echt e Urkunden 13, fü r Dagobert III. (711-715) dreizeh n i m wesentliche n echt e Urkunden 14, fü r Chilpe -rich I L (715/16-721 , im Urkundenbestan d bi s 718 ) zwölf Urkunden 15, fü r Theude -rich IV. (721-737) acht im wesentlichen echt e Urkunden16 überliefert . Offensichtlic h ist als o zunächs t einmal , da ß zu r Zei t Pippins d. M. di e Zah l de r überlieferte n Königsurkunden noc h gu t doppel t s o gro ß ist , wi e di e Zah l de r überlieferte n Hausmeierurkunden; währen d zu r Zei t Kar l Martell s da s Zahlenverhältni s vo n überlieferten Königsurkunde n un d Hausmeierurkunde n sic h umkehrt , als o wei t mehr Hausmeierurkunde n al s Königsurkunde n überliefer t sind , d a ma n di e zwi -schen 715/1 6 und 71 8 ausgestellten Chilperichurkunde n nich t mitrechne n kann 17.

Hinzu komm t eine weitere Beobachtung, wenn man wie für di e Hausmeierurkun -den auc h fü r di e Königsurkunde n di e Ausstellungszeitpunkt e i n di e Betrachtun g miteinbezieht. Vo n Childeber t III. sind un s ach t Urkunde n au s de n Jahren 69 5 bi s 702 überliefert18, wa s den Zeitraum 70 2 bis 70 9 betrifft gan z punktuel l nu r au s de m Jahr 70 4 Urkunden fü r da s Kloste r St . Wandrille19, da s zwischen 70 2 und 70 8 abe r auch ganz regelmäßig von Pippin d. M. begünstigt wurde, und aus dem Zeitraum 70 9

12 PERT Z DDM 58-62, 64-66; eine Fälschung ist die Urkunde DM 63. Deperdita: Karl Friedrich STUMPF, Über die Merowingerdiplome, in : HZ 29 (1873), S. 343-407, darin S. 393-400 die Liste der Deperdita, für Chlodwig III. Nr. 70-76, S. 397f, d. h. 7 Deperdita . Dazu kommt ein Deperditum Chlodwig s III. für da s Speyere r Hochstif t vgl . Ingri d HEIDRICH , Bischöf e un d Bischofskirch e vo n Speyer , in : Di e Salier und das Reich Bd . 2 , hg. v . Stefa n WEINFURTER , Sigmaringe n 1991 , S.207.

13 PERT Z DDM 67-79 ; außerdem die Immunitätsbestätigung fü r St. Calais bei Julien HAVET , Oeuvre s 1 , S. 163f Nr . 6. Vo n de n be i PERT Z al s Spuria edierten Urkunde n Sp . 79-8 2 sin d Sp . 8 0 un d 8 1 i m wesentlichen echt , vgl . Ferdinan d LOT, U n gran d domain e à l'époqu e franque : Ardi n e n Poitou , contribution à l'étude de l'impôt, zuerst erschienen in: Bibliothèque de l'Ecole des Hautes Etudes, se. hist, et phil. fasc . 230, 1921 , S. 109-129, hier zitiert nach dem Wiederabdruc k in : Recueil des Travaux historiques de F . Lo t Bd . II, 1970, S . 191-211, speziel l S . 194f. Daz u komme n nac h de r List e vo n STUMPF (s . vor. Anm.) Nr . 77-88, S . 398, 1 3 Deperdita.

14 DD M 80 , 44 (diese Urkunde wird von PERT Z Dagobert II. zugeordnet, von François HIMLY, Les plus anciennes chartes et les origines de l'abbaye de Wissembourg, in : BECh 10 0 (1939) S.282f jedoc h auf Dagobert III. bezogen. Vo n de n vo n PERT Z al s Spuria qualifizierten Urkunde n Dagobert s III. Sp. 83-8 6 sind Sp. 84 und 85 zwar interpoliert aber in Teilen echt vgl. F. LOT, Un gran d domaine (wie vor. Anm.). Die Deperdita in der Liste von STUMP F Nr. 89-96, S. 398 f . Ferne r ein Deperditum für das Hochstift Speye r vgl . HEIDRICH , Bischöf e un d Bischofskirch e vo n Speye r (wi e Anm . 12) S . 207. Z u den Urkunden und Deperdita Dagoberts III. vgl. im übrigen HEIDRICH , Titulatur (wie Anm. 1) S. 200 mit Anm. 603, sowi e C . WEHRLI , Mittelalterlich e Überlieferunge n vo n Dagober t I. (Geist un d Werk der Zeiten. Arbeite n au s dem Histor . Semina r d. Univ . Züric h Nr . 62), Bern/Frankfurt 1982 , S. 13 f.

15 DD M 81-90 , Deperdita STUMP F Nr . 97,98, S.399 . 16 DD M 91-95 , wobe i di e letzt e Urkund e interpolier t ist ; außerde m sin d di e be i PERT Z al s Spuria

edierten Urkunde n DD M Sp . 87 , 89 , 9 3 i m wesentliche n ech t (z u D M Sp . 8 7 für Le Man s und z u DDM Sp . 89 und 93 vgl. F . LOT, U n gran d domaine (wie Anm. 13).

17 Di e Urkunde n Chilperich s I L datieren alle aus den ersten drei Jahren seiner Regierung, d . h. bi s 718, also au s eine r Zeit , al s Kar l Martel l ih n noc h nich t al s König akzeptier t hatte . Au f de n Name n Chlothars IV., des von Kar l Martell erhobenen Gegenkönig s gege n Chilperich I L sind nur Fälschun-gen überliefer t vgl . Clovi s BRUNEL , Les acte s mérovingien s pou r l'abbay e d e Saint-Médar d d e Soissons, in : Mélange s d e l'histoir e d u moye n âg e dédiée s à l a mémoir e d e Loui s Halphen , 1951, S. 79-81.

18 DDM 67-73, DDM Sp . 80, 81. 19 DM Sp . 82, Deperdita STUMPF Nr . 77-81, S. 398.

26 Ingrid Heidric h

bis 711 fün f weiter e Urkunde n fü r ander e Empfänger 20; d.h . di e Häufun g de r Urkunden Pippins d. M. füll t gena u de n Zeitraum , au s de m kein e Königsurkunde n außer solche n fü r St . Wandrill e überliefer t sind . Di e Urkunde n Theuderich s IV. stammen all e au s de n Jahren 72 1 bi s 728 , d.h. au s de m Zeitraum , i n de m auc h di e meisten Urkunde n Kar l Martell s ausgestell t sind . Si e sind alle , worauf ic h scho n i n meiner Dissertation hingewiesen habe , Bestätigungen21. Außerordentlich auffälli g is t die - fü r ihr e kurzen Regierungszeite n - ungewöhnlic h groß e Zahl von überlieferte n Urkunden Dagobert s III. und Chilperich s II.

Nimmt ma n all e angeführte n Beobachtunge n zusammen , s o kan n ic h da s sic h insgesamt au s de r urkundliche n Überlieferun g ergebend e Bil d nich t fü r zufälli g halten. Ic h fass e da s Ergebni s noc h einma l zusammen , u m dan n anschließen d de n Versuch eine r Interpretatio n z u unternehmen . Di e merowingische n Königsurkun -den setzen , ausgenomme n di e Urkunde n fü r St . Wandrille, zwische n 70 2 un d 70 9 aus; au s gena u diese m Zeitrau m stamm t di e weitau s größt e Zah l de r Urkunde n Pippins d. M. Mi t de m Jahr 70 9 setzen di e Königsurkunde n wiede r ei n und werde n während de r kurze n Regierungszeite n Dagobert s III. und Chilperich s II. in de n Jahren 71 5 bi s 71 8 soga r i n ungewöhnlic h hohe r Zah l ausgestellt . Nachde m Kar l Martell sich durchgesetzt hat , übersteigt die Zahl der überlieferten Hausmeierurkun -den nich t nu r deutlic h di e Zah l de r überlieferte n Königsurkunden , fü r beid e Grup -pen ist auch der Zeitraum, in dem sie gehäuft ausgestell t werden, der gleiche. Nimmt man hinzu , da ß di e zu r Zei t Kar l Martell s ausgestellte n Königsurkunde n durchwe g Bestätigungen sin d un d zwa r fü r Empfänger , di e den Karolinger n nah e stehen 22, s o wird ma n si e nicht meh r al s Willensbekundungen de s Königs ansehen , sondern de m Einfluß de s Hausmeier s zuschreibe n können .

Ich komm e zu r Interpretatio n de s aufgezeigte n Bildes . Gan z deutlic h wir d di e herausragende Stellun g Pippins d. M. und Kar l Martell s i m Vergleic h z u andere n Adligen des Frankenreiches . Kla r ablesbar is t auch die Bedeutungslosigkeit Theude -richs IV. im Verhältni s z u Kar l Martel l (un d zwa r ohn e di e karolingisc h gefärbte n historiographischen Quelle n z u Hilf e z u nehmen) . De r Zeitrau m 71 5 bi s 71 8 wir d deutlich als Schwächephase der Karolinger erkennbar . Aber drei Fragen ergeben sich aus dem Befund , dere n Beantwortun g genauere r Untersuchun g bedarf . 1 . Läßt sic h der Rückgan g de r Königsurkunde n un d di e Häufun g de r Urkunde n Pippins d. M. im Zeitrau m vo n 70 2 bi s 708/0 9 erklären ? 2 . Kan n ma n au s de n erstaunlic h zahlreichen Urkunde n de r kurze n Regierungszei t Dagobert s III. Rückschlüsse au f Probleme de r letzte n Jahr e Pippins und de r Situatio n nac h seine m Tod gewinnen ? 3. Wie is t di e relativ e Häufun g vo n Urkunde n Theuderich s IV. und Kar l Martell s zwischen 72 1 un d 72 8 z u interpretieren ? Ic h versuch e i m folgenden , dies e dre i Fragen de r Reih e nac h z u beantworten , bzw . Informationsfragment e z u ihre r Beantwortung zusammenzutragen .

Da di e Beantwortun g de r erste n Frag e a m wenigste n Bezüg e zu m Them a de r Tagung aufweist , fü r di e diese r Beitra g verfaß t wurde , fass e ic h mic h hierbe i gan z

20 D M 7 4 ist undatiert . D M 75 , von PERT Z au f de n 12 . März 70 6 datiert , ist nach Josef SEMMLER , Zu r pippinidisch-karolingischen Sukzessionskris e 714-723 , in : D A 3 3 (1977) , S . 12 Anm . 84 au f 71 0 z u datieren. Aus dem Zeitraum 709-71 1 außerde m DDM 76-79 .

21 HEIDRICH , Titulatur S. 199f . 22 Ebd . S . 201 ff.

Die Urkunde n Pippins d.M. un d Kar l Martells 27

kurz. Zwische n 69 7 un d 70 2 ha t Pippin d. M. di e vorsorglich e Teilun g seine r Herrschaftsstellung unte r sein e Söhne Drogo un d Grimoal d vollzogen , den n 697 ist Pippin zum letzten Mal mit dem Hausmeiertitel , 702 Grimoald erstmali g mit diese m bezeugt23. Drog o erhiel t di e Champagn e un d vielleich t Burgund 24, Grimoal d da s Hausmeieramt. Pippin d. M. baut e al s Senio r de s Hause s mi t de m dux-Tite l ode r auch ohn e Tite l di e Herrschaf t de r Famili e weite r au s durc h Schenkunge n a n Empfänger i n Neustrien (St . Wandrille) wie in Austrie n (Echternach) , durch Krieg e gegen di e Friese n un d gege n di e Alamannen . Dies e Jahre, i n dene n Pippin faktisch wie ei n Köni g herrschte , fande n mi t de m Tod seine s ältere n Sohne s Drog o i m Jahr 708 offenbar ei n abruptes Ende . Damit war Pippins vorsorgliche Nachfolgeordnun g in Frag e gestellt . Di e notwendig e Neuregelun g de s Nachfolgeproblem s macht e Vorsichtsmaßnahmen nötig : di e wiede r stärker e Berücksichtigun g de s Königs , di e Verheiratung de s zweite n Sohne s Grimoal d mi t de r Tochte r de s besiegte n Friesen -herzogs25 un d schließlic h di e fü r Echternac h (un d woh l auc h Stavelot-Malmedy ) beabsichtigte Verstärkun g de r Bindun g a n di e Pippin-Plectrud-Nachkommen -schaft26. Zugespitz t formuliert : mei n Vorschla g wäre , u.a . di e sei t 70 9 wiede r umfangreicher einsetzende n Königsurkunde n al s Zeichen eine r ersten »Sukzessions -krise« zu interpretieren, für di e dann auch Pippins letzte Urkunde für Echternac h ei n eindeutiges Dokumen t ist .

Die Urkunde n Chilperich s I L sin d fü r Semmle r Hauptzeugniss e de r zweite n (eigentlichen) »Sukzessionskrise « nac h Pippins Tod gewesen , zweifellos zurecht . Ic h möchte di e erstaunlic h groß e Zah l vo n Urkunde n Dagobert s III. zusammen mi t anderen Beobachtungen z u dessen Regierungszeit ebenfall s al s Zeugnisse einer schon seit 709 bestehenden un d unte r Dagober t III. seit 711 andauernden Sukzessionskris e interpretieren; un d dami t komm e ic h z u meine r zweite n Frage . Wie ich a n andere r Stelle ausführen werde , sind alle als Deperdita ode r vollständig überlieferten Urkun -den Dagobert s III. Bestätigungen mi t Ausnahm e eine r (nich t gan z unverdächtigen ) für da s Kloste r Weißenburg un d vermutlich eine r für di e Wormser Bischofskirche 27.

23 Ebd . S . 232 f. 24 Theodo r SCHIEFFER , De r Aufstieg de r Karolinger, in : Handbuch der europäischen Geschichte Bd . 1 ,

hg. v . Theodor SCHIEDER , Stuttgar t 1976 , S.529f. 25 Fred , cont.7 , MGH S S rer. Merov. 2 , hg. v . Bruno KRUSCH , Hannove r 1888 , S. 172f . 26 Vgl . HEIDRICH , Titulatur S . 125 zu Echternach , 237 zu Stavelot-Malmedy . 27 Z u de n Urkunde n un d Deperdit a Dagobert s III. vgl. HEIDRICH , Titulatu r S.20 0 Anm.603 , sowi e

C. WEHRLI , Mittelalterlich e Überlieferungen (wi e Anm. 14), S. 13 f. Vollständig überlieferte Urkunde n Dagoberts III. sind: Die Bestätigung für St. Calais DM 8 0 und die Schenkung für Weißenburg DM 44 (dazu F . HIMLY , wi e Anm . 14, S . 282f); dere n Bestätigun g (un d Erweiterung ) durc h Ludwi g de n Deutschen: D Lud w D t 7 6 (MGH Diplom , reg . Germ , e x stirpe Karolinoru m 1 . Die Urkunde n de r deutschen Karolinge r 1 . Di e Urkunde n Ludwig s de s Deutschen , Karlmann s un d Ludwig s de s Jüngeren, hg . v . Pau l KEHR , Berli n 1932-34) , wobe i i n der Einleitung z u diese r Urkund e irrtümlic h Bezug genomme n wir d au f D M Sp . 3 1 al s Vorlage, währen d tatsächlic h D M 4 4 auc h i m Wortlaut Vorlage ist. - Deperdit a Dagoberts III.: DDM 8 8 (St.Maur-des-Fossés), 81, 84, D Arn . 21, HEIDRICH , Titulatur S.245 A 19 (St. Denis), 85 (St. Wandrille), DDK 29 , 57 (MGH Diplom . Karolinoru m 1 . Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karl s d. Gr., hg. v. Engelber t MÜHLBACHER , 1906) . Eine Bestäti -gung fü r Rigober t vo n Reim s wir d vo n Flodoar d erwähn t (MG H S S 1 3 S.459) . Bestätigun g fü r St. Wandrille: F. LOHIER-J . LAPORTE , Gest a ss. patrum Fontanellensis coenobii , Paris 1936, S.34. Di e Immunitätsverleihung a n di e Wormse r Bischofskirche , di e Köni g Pippin bestätigt (D K 20) , is t wahrscheinlich au f Dagobert III. zu beziehen .

28 Ingrid Heidric h

In später Überlieferung (Heinric h IV.) wird ein e Bestätigungsurkunde diese s König s für da s Speyere r Domkapite l genannt 28. Da s Kloste r Weißenbur g erfuh r währen d der kurzen Regierungszei t diese s Königs ebenso wie das Kloster St . Wandrille an der Seinemündung eine n erste n Höhepunk t de r Güterausstattung 29; beid e Klöste r wur -den auc h vo m Köni g selbs t privilegiert 30. De r rätisch e Schreibe r Aud o datiert e 74 4 zwei Urkunde n fü r St . Galle n nac h de m verstorbene n Köni g Dagober t III., dem letzten Merowinger , de n e r offenbar noc h al s rechtmäßig ansah ode r kannte 31. Es is t zumindest z u fragen , o b nich t einig e Dagobert-Traditione n de s Oberrheinraume s auf Dagobert III. und nicht wie bisher auf Dagobert I. zu beziehen sind32, so z. B. di e räumliche Fixierung des Bistums Konstanz . Daß die erst in einer Urkunde Friedric h Barbarossas berichtet e Abgrenzun g de s Bistum s Konstan z gege n di e Diözese n vo n Augsburg, Würzburg , Speyer , Straßburg , Base l un d Lausann e historisc h sei , wir d seit Th . Maye r vo n de n meiste n Forscher n (zuletz t Kelle r un d Eberl) 33 akzeptier t trotz de r vo n O . P . Clavadetsche r geäußerten , berechtigte n Bedenke n un d obwoh l der Vorgang der räumliche n Bistumsabgrenzun g fü r Konstan z nac h Clavadetscher 34

und R . Kaiser 35 viel besser in di e politischen Zusammenhäng e de r späte n Merowin -

28 D H IV 466 (MGH Diplom , reg . et imperat. Germ. 6. Die Urkunden Heinrichs IV., hg. v. Dietrich v. GLADISS und Alfred GAWLIK , Hannover-Weima r 1959-1978) ; vgl. dazu Franz Xaver GLASSCHRÖDER , Zur Frühgeschichte de s alte n Speyerer Domkapitels , in : ZGORh 8 5 NF 4 6 (1933 ) S . 481-497, sowi e I. HEIDRICH, Bischöf e (wi e Anm . 12 ) S . 207 .

29 Fü r Weißenbur g sin d 1 9 nac h Dagober t III. datierte Urkunde n überliefert , vgl . Anto n DOLL, Traditiones Wizenburgenses. Di e Urkunde n de s Kloster s Weißenburg 661-864 , eingel . un d au s de m Nachlaß von Karl GLÖCKNE R hg., Darmstadt 1979 , Register S. 527. Für St. Wandrille sind aus der Zeit Dagoberts III. 11 Privaturkunden überliefert , vgl . LOHIER-LAPORT E (wi e Anm. 27), S. 33-36.

30 Fü r Weißenburg D M 44 ; für St . Wandrille da s Deperditum vgl . z u beiden Urkunden Anm . 27. 31 Herman n WARTMANN, Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen Bd. 1 (700-840), Zürich 1863, Nr. 8 und

Nr. 9, beid e a m gleichen Tag (30. August 744 ) von Aud o fü r unterschiedlich e Schenke r geschrieben . Daß der Schreiber Audo (räto)romanischer Sprache war, ergibt sich aus der sprachlichen Form des von ihm geschriebene n Latein s (Jahresformulierun g vo n Nr . 8: anno tredecemo pos regnu domni nostri Dacopirti reges; für Nr. 9: Facta cartola donationis anno XXXpos regnu domni nostri Dagopirti rejes).

32 Vgl . zum Thema Immo EBERL , Dagobert I. und Alemannien. Studien zu den Dagobert-Überlieferun -gen im alemannischen Raum, in: Zeitschrift fü r Würtembergische Landesgeschicht e 4 2 (1983), S. 7-51

33 Theodo r MAYER , Konstan z und St. Gallen in der Frühzeit, in: Schweizer. Zeitschrift fü r Geschichte 2 (1952), S . 473-524. Au s de r neueren Literatu r vo r alle m Hage n KELLER , Fränkisch e Herrschaf t un d alemannisches Herzogtu m im 6. und 7.Jahrhundert, in : ZGORh 12 4 NF 8 5 (1976), S. 1-30. I. EBERL, Dagobert I. (wie vor . Anm.) . Auße r de r Barbarossa-Urkund e sin d Grundlag e fü r di e Annahm e de r Konstanzer Bistumsgründung durch Dagobert I. ein freilich erst aus dem 12 . Jahrhundert stammende r Konstanzer Bischofskatalog (EBER L S. 19, KELLER S. 20f), eine Nachricht Notkers vom Ende des 9. Jh. (MGH Poeta e IV, 3 S. 1107), sowie zwe i Nachrichte n de r aus dem Ende de s 8 . und der 1 . Hälfte de s 9. Jh. stammende n Gallus-Viten , di e vo n eine m Konstanze r Bischo f scho n z u Lebzeite n de s Gallu s sprechen (MGH S S rer. Merov. 4 S.269 , 253f) .

34 Ott o P . CLAVADETSCHER , Churrätie n i m Übergan g vo n de r Spätantik e zu m Mittelalte r nac h de n Schriftquellen, in : Von der Spätantike zum frühen Mittelalter, hg. v. Joachim WERNE R U . Eugen EWI G (Vorträge und Forschungen 25) , Sigmaringen 1979 , S. 168 mit Anm. 62..

35 I n der von Reinhold KAISER , Bistumsgründunge n im Merowingerreich im 6. Jahrhundert, in: Beiträge zur Geschicht e de s Regnu m Francorum , hg . v . Rudol f SCHIEFFE R ( = Beiheft e de r Franci a 22) , Sigmaringen 1990 , S . 33 f., aufgestellte n Typologi e frühmittelalterliche r Bistumsgründunge n wir d Konstanz mi t seine r Grundlag e au f de m Herzogtu m un d de m Stam m de r Alamannen eine m neue n »gentilizischen« Ty p vo n Bistumsgründunge n zugeordnet , de r (KAISE R häl t a n de r traditionelle n Festlegung de r Bistumsgründung Konstan z unte r Dagobert I. fest) vie l besse r in die spätmerowingi -sche Zeit passen würde .

Die Urkunden Pippins d.M. un d Kar l Martells 29

gerzeit einzuordnen wäre . Selbst wenn man die in der Barbarossa-Urkunde tradiert e Nachricht übernimmt , sprich t die Nennung de s Bistums Würzburg (Kilian) 36 für di e späte Merowingerzeit. Wären tatsächlich unte r Dagober t III. und nich t unte r Dago -bert I. die Grenze n de s Bistum s Konstan z fixier t worden , würd e auc h erklärlich , warum gerad e diese r Merowinge r de m Schreibe r Aud o i n de n St . Galle r Urkunde n von 74 4 noc h s o geläufi g war , da ß e r nac h ih m datierte . Al s weitere s Zeugni s fü r König Dagober t al s Begünstiger de s Bistums Konstan z wird von de r Forschun g di e Nennung eine s Tagabertus rex i n de r List e de r nomina defunctorum betrachtet , di e zwischen 83 9 un d 85 5 au f Veranlassun g de r Konstanze r Domkanonike r i n da s Reichenauer Verbrüderungsbuc h eingetrage n wurde 37. Di e Eintragun g Tagabertus rex eröffne t i m Verbrüderungsbuch ein e Liste von »Königen« , Pippinus rex, Karolus rex, Hludovicus rex, Cotafredus rex, vo n dene n de r letztgenannnt e zweifello s de n Alamannenherzog Gotefri d meint , de n Zeitgenosse n Pippins d. M. Di e chronolo -gisch konfuse Reihun g gib t nichts für di e Frage her, um welchen Köni g Dagobert e s sich handelt , läß t e s jedoc h auc h möglic h erscheinen , a n Dagober t III. zu denken . Der rex-Tite l fü r Gotefri d is t Relik t au s der Zei t eine s seh r selbständige n alemanni -schen Herzogtums 38.

Auffällig erschein t mir , da ß de r Oberrheinraum , Weißenburg , wahrscheinlic h di e Städte Worms, und Speyer , beide Ausgangspunkt wichtige r Straßen ins rechtsrheini -sche Alamannien , un d woh l auc h Konstan z zu r Zei t Dagobert s III. in eine m Maß e wie niemals zuvor ins Blickfeld de r Führung des Frankenreiches rückte . Berücksich -tigt ma n di e Feldzüge Pippins d.M. gege n di e Alamannen vo n 709-712 39, so deute t die Häufun g vo n Nachrichte n übe r Aktivitäte n Dagobert s III. (711-715/16) i m Oberrheinraum au f angestrengt e Versuch e de r fränkische n Führun g i n de n letzte n Jahren Pippins und i n de r Zei t de r von Semmle r s o benannten Sukzessionskrise , di e Verbindung zu diesem alamannische n Rau m z u halten. »Fränkische Führung« mein t in diese m Zusammenhan g siche r nich t de n junge n Köni g - alle s sprich t dafür , da ß Dagobert III. um oder wenig vor 700 geboren wurde40 -, sonder n Pippin d. M. bzw . die faktisch e Regenti n Plectrud . Fü r Aktivitäte n de r Karolinge r i m Oberrheinrau m haben wi r fü r dies e Zei t kein e direkte n Zeugnisse . Zu m Schenkerkrei s de s gu t dokumentierten Kloster s Weißenburg zählte n di e Karolinge r nac h allgemeine r Auf -fassung nicht . Vielleicht is t abe r doc h ein e Verfügung zugunste n Weißenburg s übe r Güter i m Saarga u vo m 1.10.71 7 zu beachten , di e erst e nac h Chlotha r IV. datierte Weißenburger Urkunde , di e von eine r matron a Geratru d siv e Gaila in Herbitzhei m

36 Zu r Würzburger Bistumsgründun g durc h Bonifatiu s zuletz t Helmu t MICHELS , Da s Gründungsjah r der Bistümer Erfurt, Büraburg und Würzburg, in: Archiv f. mittelrhein . Kirchengeschicht e 3 9 (1987), S. 11-42 un d Fran z STAAB , Di e Gründun g de r Bistüme r Erfurt , Bürabur g un d Würzbur g durc h Bonifatius i m Rahmen der fränkischen un d päpstlichen Politik , in : Archiv f . Mittelrhein . Kirchenge -schichte 4 0 (1988) , S . 13-41. Zu r Kilianstradition : Heinric h WAGNER , Zu r Frühzei t de s Bistum s Würzburg Teil I, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 33 (1981), S. 95-121; Teil II in: Würzburge r Diözesangeschichtsblätte r 4 8 (1986) , S . 111-131. DERS. , Bistumsgründun g un d Kilians-Translation, in : Kilian , Mönch aus Irland , 1989 , S . 269-280.

37 MG H Libr i memoriales e t necrologia N.S . 1 Abb. S . 83. 38 Z u Gotefri d vgl . Th. SCHIEFFE R (wi e Anm. 24) S.530 . 39 Th . SCHIEFFE R (wi e Anm . 24 ) S . 530 . 40 Euge n EWIG , Studie n zu r merowingische n Dynastie , in : Frühmittelalterlich e Studie n 8 (1974) ,

S. 15-59, hier speziel l S . 27 mit Anm. 70.

30 Ingrid Heidric h

ausgestellt wurde 41. Geratru d is t i m Weißenburger Urkundenbestan d bi s zu r Mitt e des 8 . Jahrhunderts di e einzig e selbständi g urkundend e matron a - un d die s z u Lebzeiten ihre s erwachsene n Sohne s Buccelinus . Si e trägt eine n frühkarolingische n Frauennamen42. Si e urkundet public e in der villa Herbitzheim, die , wie wir aus de m Meersener Vertrag von 87 0 wissen, ein Karolingerkloste r beherbergte 43. Gehört e si e zur Karolingersippe ? Wi e de m auc h sei , Kar l Martel l nah m di e Verbindun g zu m alamannischen Raum , di e sei n Vate r Pippin und möglicherweis e sein e Stiefmutte r Plectrud begründe t hatten , im Jahr 72 5 nach Überwindung de r Nachfolgeschwierig -keiten wieder auf . Di e auf den Namen Kar l Martells und au f 72 4 datierten Fälschun -gen zugunste n de r Reichena u würde n zeitlic h un d inhaltlic h durchau s i n diese n Kontext passen 44.

Ich komm e zu r dritte n Frage , de r Häufun g vo n Urkunde n Theuderich s IV. und Karl Martell s zwische n 72 1 un d 728 . Be i Theuderich IV. ist wi e be i Dagober t III. davon auszugehen , da ß di e Urkunde n diese r Merowinge r nich t ohn e Billigun g de r faktisch regierende n Karolinge r ergingen . Be i Theuderic h IV. sprechen dafü r di e gelegentliche ausdrücklich e Nennun g Kar l Martells , de r Bestätigungscharakte r sei -ner Urkunden, die Empfänger, di e Beobachtungen z u seiner »Kanzlei«45. 721 bis 728 sind di e Jahre nac h Überwindun g de r »Sukzessionskrise« , di e Jahre de r i n Angrif f genommenen stärkere n Integratio n de r Randgebiete de s Frankenreiches, de s fränki -schen Ausgriffs au f Friesland, auf die Grenzgebiete der Sachsen, auf Alamannien un d Bayern. Di e Urkunde n Kar l Martell s spiegel n sein e Unterstützung de r Friesenmis -sion (Schutzbrie f fü r Bonifatiu s vo n 723 , Schenkungen vo n Fiskalgu t bzw . konfis -ziertem Gu t a n di e St . Salvatorkirch e un d da s Kloste r i n Utrech t z u Hände n Willibrords 723 und 72e)46; die Fälschungen auf den Namen Kar l Martells zugunste n der Reichena u (724) 47, di e verfälschte n Urkunde n Theuderich s IV. zugunsten vo n Maursmünster (724/725 ) un d Murbac h (728) 48 un d Kar l Martell s Ausstattun g de s Klosters Hona u mi t Güter n nac h de m Tod de s elsässische n Herzog s Adelber t (als o nach 723) 49 wäre n Spure n de s fränkische n Engagement s i m alamannische n Raum . Daß auc h di e Klöste r Echternach , Stavelot-Malmed y un d St . Wandrille , sei t Pip-pin d. M. Bastionen der Karolinger , von Kar l Martell im Zeitraum zwische n 71 8 und

41 DOLL (wie Anm . 29 ) Nr . 261 . 42 Z u Geretrud , de r Tochter Pippins d.Ä. vgl . Eduar d HLAWITSCHKA , Di e Vorfahren Karl s d . Gr., in :

Karl de r Große . Bd . 1 . Persönlichkei t un d Geschichte , hg . v . Helmu t BEUMANN , Düsseldor f 1965 , S. 51-82, bes . 74 ; zu Buccelinus vgl . DOLL (wie Anm. 29) Nr. 261, S.50 3 mit Anm. 5.

43 MG H Capitulari a II, 2 ed . Alfre d BORETIU S un d Victo r KRAUSE , Hannove r 1893 , Nr . 251 S . 194: Heribodesheim. Z u Herbitzhei m Josep h LEVY, Geschichte des Klosters , de r Vogte i un d Pfarre i Herbitzheim, Straßbur g 1892 .

44 Vgl . dazu HEIDRICH , Gründungsurkunde n (wi e Anm. 3). Alois SCHÜT Z hat aufgrund der Auffindun g einer weiteren Überlieferung einer Gründungsurkunde, über die er Einzelheiten jedoch nicht mitteilte, Bedenken gegen etwaige echte Vorlagen der Fälschungen und gegen das Gründungsdatum 72 4 geltend gemacht (maschinenschriftliche s Reichenau-Protokol l Nr . 274 vo m 8.12.1984) , ha t jedoc h sein e Ergebnisse m. W. bisher nicht veröffentlicht .

45 HEIDRICH , Titulatur (wie Anm. 1) S. 199-205. 46 Ebd . A 9 - A 1 1 , S.240f . 47 Wi e Anm. 44 . 48 HEIDRICH , Gründungsurkunde n (wi e Anm. 3) S. 33f, 37ff . 49 HEIDRICH , Titulatur S.244f., A 18.

Die Urkunde n Pippins d.M. und Karl Martell s 31

728 Begünstigungen erhielten 50, kann nicht verwundern, doch ist es deutlich, daß die zuerst genannte n Begünstigunge n de r Friesenmission und alamannischer Empfänge r überwiegen.

Das auffällige Fehle n von merowingischen Königsurkunde n i n den letzten Jahren Theuderichs IV. (728-737) un d das Fehlen vo n Urkunden Kar l Martell s zwische n 731 un d 741 findet sein e Erklärun g vermutlic h i n der intensiven Zuwendun g des princeps Francoru m Kar l zu m burgundische n un d aquitanische n Raum . O b die Neuregelungen i n diese m Tei l de s Frankenreiche s überhaup t schriftlic h fixier t worden sind , is t schwer z u sagen , d a die urkundliche Überlieferun g au s Burgund und Aquitanie n fü r die gesamte Merowingerzei t äußers t bruchstückhaf t ist .

Das Aussetze n vo n Urkunde n Pippins d. M. nac h 70 8 und di e Häufun g vo n merowingischen Königsurkunde n zwische n 70 9 und 715 habe ich als Ausdruck eine r mit dem Tod Drogos einsetzende n »Sukzessionskrise « interpretiert , in deren Verlauf Pippin und dann Plectru d de m Merowinger forma l wiede r größere s Gewich t ein -räumten. Ei n Zeugni s diese r »Sukzessionskrise « is t ohn e Zweife l Pippins letzte Urkunde fü r Echternach au s dem Jahr 714 , auf Initiative Plectrud s ergangen , al s er bereits kran k war , und mi t de m Zie l da s Kloste r Echternac h au f di e Plectrud -Nachkommenschaft un d nur auf diese zu verpflichten51. Auc h Kar l Martells Tod 741 eröffnete ein e »Sukzessionskrise« , und auch diese ist urkundlich scho n vor dem Tod Karls belegbar 52.

Im Zug e seine r Durchsetzun g i m Frankenreich ha t sich Kar l Martel l da s altehr-würdige merowingisch e Königskloste r St . Deni s frü h verpflichtet . Di e Urkund e Theuderichs IV. von 723 bezeugt Karl s Intervention zugunste n des Klosters53. Wohl schon vorher hat Karl seinen Neffen Hugo , den einzigen Drogo-Sohn, von dem wir wissen, daß er sich auf seine Seite stellte, als Abt von St . Denis eingesetzt . Hugo gab zwar die Abtei vor 724 auf, erhielt abe r u . a. das Bistum Paris 54. In St. Denis wurd e Karls jüngerer Sohn Pippin erzogen55. Das Kloster erhiel t von Kar l eine Bestätigun g seiner Einkünft e au s de m Dionysius-Markt 56, un d unmittelba r vo r seine m Tod machte e r ihm, wie die Fredegarfortsetzung bezeugt , reich e Schenkungen 57. Eine s der in diesem Zusammenhan g de m Kloster geschenkte n Besitztüme r wa r die mero-wingische Königspfal z Clichy . Di e Urkunde Karl s übe r dies e Schenkun g is t uns, wenn auc h nu r abschriftlich , erhalten . Si e datiert vo m 17. September 74 1 aus der Pfalz Quierzy , di e uns durch di e Fredegarfortsetzung al s Sterbepfalz Karl s überlie -fert ist 58. Karl starb nach der Fredegarfortsetzung a m 22. Oktober 741 , nach Leviso n vielleicht ehe r a m 15 . Oktober 741 59. E r ha t di e Urkund e fü r St . Denis , scho n erkrankt, kur z vo r seine m To d ausgestellt , wi e seinerzei t sei n Vate r Pippin seine

50 Echternach : ebd . S.240, A 7; S.271 Nr. 30. Stavelot-Malmedy : ebd . S.240, A 8. St. Wandrille: ebd. S.273, Nr.37 , 38.

51 Ebd . S . 125, S . 239, A 5. 52 Ebd . S. 150f., 202 ff., 242 , A 12. 53 D M 93 . 54 SEMMLER , Sukzessionskrise (wi e Anm. 20), S.29 . 55 D K 8 (wie Anm . 27) . 56 HEIDRICH , Titulatur S.272, Nr . 36. 57 Fred . cont . 24, MGH S S rer. Merov. 2 (wie Anm. 25) S. 179. 58 HEIDRICH , Titulatur S.242, A 12. Fred. cont . 24. 59 Wilhel m LEVISON , AU S rheinischer und fränkischer Frühzeit , Düsseldor f 1948 , S.343 .

32 Ingrid Heidric h

letzte Urkund e fü r Echternach . Wi e di e illustri s matron a Plectru d Pippins letzte Urkunde »firmierte« , s o erteilten die illustris matrona Swanahild und ihr Sohn Grif o Karls letzte r Urkund e ihr e Konsensunterschrift . Wi e Pippins letzte Urkund e fü r Echternach da s Zie l hatte , da s Kloste r au f di e Treu e z u seine r un d Plectrud s Nachkommenschaft z u verpflichten , s o sollte n Karl s letztwillig e Verfügunge n zugunsten vo n St . Denis diese s Kloste r seine m un d Swanahild s Soh n Grif o sichern . Wohl wurde Kar l in St. Denis beigesetzt , abe r Swanahilds Versuch schlug schließlic h genauso feh l wi e ehede m de r Versuch Plectruds .

Insgesamt sin d e s eine ganze Reihe interessante r Parallele n un d Unterschiede , di e sich au s de m Vergleic h de r zeitliche n un d räumliche n Streuun g de r Urkunde n Pippins d. M. un d Kar l Martell s ergeben , vo r alle m wen n ma n si e in Beziehun g z u den zeitgleiche n Königsurkunde n setzt . Di e Urkunde n spiegel n di e Nachfolgepro -bleme sei t Drogo s Tod 708 . Die Königsurkunde n Dagobert s III. lassen da s zuneh -mende Interesse für de n alamannischen Raum erkennen, das dann aus den Urkunde n Karl Martell s un d Theuderich s IV. ganz deutlic h wird . Di e letzte n Verfügunge n beider Karolinger , Pippins d. M. un d Kar l Martells , dokumentiere n de n Versuc h beider matronae , Plectru d un d Swanahild , di e Positio n ihre r jeweilige n Nachkom -menschaft z u sichern . Di e Gesamtzah l überlieferte r Hausmeierurkunde n z u gleich -zeitigen Königsurkunde n verschieb t sic h unte r Kar l Martel l zuungunste n de r Königsurkunden, ei n klare s Zeugni s de r sic h wandelnden Verhältnisse .

Es lohn t sic h als o schon , di e frühe n Karolingerurkunde n gan z geziel t mi t bestimmten Fragestellunge n i n de n Blic k z u nehmen . Nu r al s Postscriptu m se i vermerkt, da ß si e auc h ander e interessant e Informatione n liefern . Einig e Beispiel e seien genannt . Di e Urkunde n bezeuge n sei t Pippin d. M. di e selbstverständlich e Verfügungsgewalt de r Karolinge r übe r merowingisches Fiskalgut 60. Si e belegen, da ß die Karolinger sei t Pippin d. M. Kirchengu t i n prekarischer Leih e an ihre Parteigän -ger gaben 61 ; und fü r di e Vergabe von Güter n a n eine n kirchliche n Amtsträger , de n Abt/Bischof vo n Honau, ist erstmals für Kar l Martell das Verb »vestire« gebraucht 62.

60 HEIDRICH , Titulatur S.200 f. 61 HEIDRICH , Titulatur S . 240, A 8. 62 Di e Schutzurkund e Pippins d.J. fü r Hona u (HEIDRICH , Titulatu r S.244f. , A 18) ha t nac h de r

Überlieferung des 15 . Jh . im Chartular »Bisthumb Honaw«, fol. 2v, Archives départementales du Bas-Rhin, Sign. G 1509 de n vo n de r PERTZsche n Editio n abweichende n Text : Propterea litteras meas, manu mea firmatas, eidem dedimus, per quas omnino rogamus atque precipimus, ut neque vos neque iuniores aut successores vestri ipsi Dubano nee monasterio suo de que, que causa Dei antea sub Adelberto duce et postea sub meo genitore Karolo quondam fuit vistita, inqietare et condempnare, nee de rebus suis abstrahere nee minuere presumatis. Diesen Text wird die Neuedition de r Arnulfingerur-kunden, die ich in Arbeit habe, bringen.

Die Urkunde n Pippins d.M. un d Kar l Martell s 33

ZUSAMMENFASSUNG

Zahl und Empfänge r de r Hausmeierurkunden unterstreiche n sei t Pippin d. M. die herausragende Stellun g der Karolinge r im Vergleich z u andere n Adligen , sei t Kar l Martel l auc h i m Vergleich z u de n Merowin -gern. I n de n Jahre n 70 9 bi s 71 4 mußt e di e Nachfolg e Pippins neu geregel t werden : si e erscheine n i m Urkundenbestand wi e auch di e Jahre 71 5 bis 71 8 als Schwächephase de r Karolinger . Sei t 71 1 und bi s 72 8 spiegelt sich i n Königs - wie Hausmeierurkunde n di e stärker e Einflußnahm e i n Alamannien .

RÉSUMÉ

Le nombre des actes des maires du palais et le groupe de ceux qui en reçoivent soulignent depuis Pépin II la position important e de s Carolingien s e n relation au x autre s noble s francs , e t depuis Charle s Marte l auss i en relation aux rois mérovingiens. Dans les années 709 à 714 la succession de Pépin du t être ordonnée: ces années apparaissent dan s l'ensemble de s actes comme période de faiblesse de s Carolingiens , de même qu e les années de 715 à 718. De 711 à 728 les actes reflètent l'influenc e e t l'intérêt croissant s des Francs pour la région d'Alémanie .

SUMMARY

The eminen t position of th e Arnulfings compared wit h othe r nobl e familie s i s highlighte d b y th e grea t number o f charter s issue d b y th e mayor s o f th e palac e a s wel l a s b y thei r recipients . Fro m th e tim e o f Charles Martel onwards thi s is also valid in comparison with the Merovingian kings . Between 709 and 714 the successio n t o Pippi n II wa s unde r review . This perio d - in fac t dow n t o 718 - appears a s a time o f weakness o f th e Arnulfings . Fro m 711 to 728 the stronge r involvemen t i n affair s i n Alamannia i s eviden t from charter s bot h b y th e mayor s an d b y th e kings .