18
Luis Arroyo Zapatero Hans-Heinrich Jescheck: Die Bildung eines Charakters Y Brücken mit Spanien In U. Sieber (Hrsg.) Strafrecht in einer globalen Welt Freiburg 2016. S.108-127.

Luis Arroyo Zapatero - Blog UCLMblog.uclm.es/luisarroyozapatero/files/2016/07/Jescheck.pdf · Société Internationale de Défense Sociale . Professor Dr. Dr. h.c. mult. Luis Arroyo

Embed Size (px)

Citation preview

Luis Arroyo Zapatero

Hans-Heinrich Jescheck: Die Bildung eines Charakters Y

Brücken mit Spanien

In U. Sieber (Hrsg.) Strafrecht in einer globalen Welt Freiburg 2016. S.108-127.

Strafrecht in einer globalen W elt

Intemationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Hans-Heinrich Jescheck

vom 7. bis 8. Januar 2011

Herausgegeben zum 50-jahrigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für auslandisches und

intemationales Strafrecht, Freiburg, am l. Juli 2016

Ulrich Sieber (Hrsg.)

Duncker & Humblot · Berlin

Société Internationale de Défense Sociale

Professor Dr. Dr. h.c. mult. Luis Arroyo Zapatero' Prasident der Société lntemationale de Défense Sociale

Frisch von den Studien zu meiner Doktorarbeit als DAAD-Stipendiat am Institut für Strafrecht der Universitat zu Koln zurückgekehrt, wo ich in den Genuss der personlichen und wissenschaftlichen Gastfreundschaft von Professor Hans Joachim Hirsch gekommen war, begleitete ich Marino Barbero Santos bei seinem Umzug von Valladolid an die Universitat von Madrid. Dort hatte Barbero den ersten all ­gemeinen Strafrechtskongress der spanischen Demokratie organisiert und alle gro­/3en Strafrechtler dazu eingeladen. Giuliano Vassall i wollte nie vor Ende der Fran­codiktatur kommen, aus Respekt gegenüber seinen bei der Verteidigung der spanischen Republik gefallenen Angehürigen. Professor Jescheck war auch nie gekommen, mit Ausnahme eines privaten Besuchs bei seinen spanischen Schülern auf einer Reise nach Lissabon.

1977 waren jedoch die spanische Verfassung und damit der soziale und demo­kratische Rechtsstaat nach den ersten allgemeinen und freien Wahlen in greitbarer Nahe. Ich traf Jescheck zurn ersten Mal auf der imperialen Treppe des Hotels des ersten Kongresses der spanischen Landesgruppe der AIDP. Der Kongress fand in Madrid und in der Bischofsstadt Plasencia statt, Barberos Geburtsort. Ich stellte mich vor und erzahlte ihm meine kurze Lebensgeschichte. Er zeigte sich diskret überrascht, dass Barbero seinen ersten Schüler nicht ans MPI geschickt hatte. Si­cher hatte Jescheck nie erfahren, dass mein Schicksal mit der Anderung der Haus­ordnung anlasslich des Umzugs des Instituts in das neue und hervorragende Ge­baude zu tun hatte. Dort waren die Dinge nicht mehr so wie früher: 24 Stunden freier Zugang und ein eigener Schlüssel für jeden Gast.

Die jungen spanischen Gaste dieser Zeit hatten sich bei Barbero über diese Zu­gangsbeschrankung beschwert und dabei den Zuspruch der Italiener gefunden, Barbero war schlie/31ich Doktor der Universitat von Bologna. Als altester Gast des lnstituts lag es damit an ihm, die Beschwerde bei der Sommersoirée des lnstituts­direktors vorzubringen und wie Don Quijote gegen Windmühlen zu kampfen. Die Beschwerde blieb erfolglos; so wurde ich nach Koln geschickt. Dort konnte ich die Lehre sowie die allseits bekannte Gastfreundschaft von Hans Joachim Hirsch ge-

1 Übersetzung aus dem Spanischen von Axel-Dirk Blumenberg, wiss. Mitarbeiter am lnstitut für Europaisches und fnternationales Strafrecht der Universitat von Castilla-La Mancha, Spanien.

Hans-Heinrich Jescheck: Die Bildung eines Charakters

Luis Arroyo Zapatero 109

nie13en. Mit der Zeit sollte aus diesem jungen Professor aus Koln Jeschecks enger personlicher Vertrauter werden.

Ich habe Jeschecks Auftritt auf jener imperialen Treppe Jebhaft vor Augen: grol3, elegant, selbstsicher und zugleich freundl ich und nahezu majestatisch. Er verkfü­perte für uns Spanier das klassische Ideal eines deutschen Professors. Das alles passte zu der Vorstellung, die ich mir seit dem Moment von ihm gemacht hatte, als Barbero uns frischgebackenen Juristen 1973 in Valladolid von den blühenden Landschaften und Protagonisten erziihlt hatte, die einmal die Welt unserer Beru­fung formen konnten. Drei der bei dieser Unterredung anwesenden Studenten wur­den spater ordentliche Professoren für Strafrecht.2

Einen dieser magischen Orte, von denen Barbero geschwiirmt hatte - das Max­Planck-Institut in Freiburg-, betrat ich zum ersten Mal im Sommer l 982. Jescheck hatte mich zu einem seiner beliebten Reisevortriige eingeladen, den er in der Aula des lnstituts vor den Institutsmitgliedern und den Gasten dieses Sommers halten wollte.

Heute reist jedermann: Arme und Reiche, Professoren und Studenten. Aber vor hunde1t Jahren reiste kaum j emand, es sei denn, um zu emigrieren. Die Erfindung der Bildungsreise, mit dem Ziel, Geografie und Geschichte zu ergründen, ist neue­ren Datums. Das Reisen gehOrt jedoch wie der Sport zum Bild des modernen Hel­den.3 So formulierte es Ortega y Gasset bei seinen Reflexionen über Don Quijote.4

In Deutschland stellt das Leben von Alexander von Humboldt in diesem Zusam­menhang eine lectio magistralis dar. Jescheck nahm diesen Weg mit der tradi tio­nellen Abiturfahrt ausgehend vom Gymnasium einer deutschen Kleinstadt 1930 auf.5

Meine Beziehung zum Institut beginnt also mit Jescheck im Kleid des ,,moder­nen Helden". Genaugenommen wird aber nur derjenige dem Anspruch des moder­nen Helden gerecht, der seine Reisen mit einem Reisebericht abschliel3t. In diesem Fall ging es um eine Reise in die Türkei und einen Vortrag mit zahlreichen Dia-

2 Vgl. Berdugo, J!Arroyo, L./Terradillos, J., Marino Barbero Santos, Catedrát ico y Ma­gistrado, Cahiers de Défense Sociale 2001, S. 115 ff.

3 Siehe García-Ve/asco, J, La iniciacion de un heroe moderno, in: E. de Diego/ J. García-Velasco, Viajeros por el conocim iento. Sociedad Estatal de Conmemoraciones Culturales. Madrid 2010.

4 Meditaciones del Quijote (19 14). Madrid 200 1. 5 Spanien rnusste noch bis zu der ersten und Jetzten Universitatsexkursion zur Erkun­

dung des Mittelmeers und der magna Grecia 1933 warten. Mit Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs fand diese Tradition ein j lihes Ende. Ausgangspunkt der danialigen Reise war d ie geisteswissenscbaftliche Fakultlit in Madrid, die Organisation übernahm Manuel García Morente, vgl. Saquero Suarez-Somonte, P.!.'vfendoza Tuñon, J, El crucero universi­tario por el Mediterraneo, in: S. Lopez-Rios/J.A. Gonzalez Carceles (Coord.), La facultad de Filosofia y Letras de Madrid en la Segunda Republica: Arquitectura y Universidad durante los años 30. Sociedad Estatal de Conmemoraciones Culturales. Madrid 2008.

lb.. - - _,__., -

110 Teil 4: Brücken in die We.lt - internationale Aktivitaten

positiven. Jescheck entdeckte die Türkei von den Grenzen des alten Griechenlands bis zu ihren orientalischen Auslaufern. Er erziihlte von den grol3en Monumenten der Geschichte, den Universitiiten und juristischen Fakultaten. Der Direktor schwelgte derart in seinen Reiseerinnerungen, dass er mit keinem Wort erwiihnte, dass es die Jahre der Militardiktatur waren. Da rief plotzlich ein junger Assistent aus der letzten Reihe: ,,Folter, Folter!" Obwohl er dazu nicht aufstand, konnten wir alle seine machtige blond-gelockte Miihne bewundern. Niemand hat sich in diesem Moment vorstellen konnen, dass dieser junge Mann einmal Institutsdirektor werden würde - wenn auch der kriminologischen Abteilung!

In solchen Momenten habe ich mich stets gefragt, welche Lebensumstiinde und personlichen Qualitiiten Jeschecks Charakter auf seinem Lebensweg priigten. Heute mochte ich lhnen die Ergebnisse meiner Überlegungen vorstellen. Dabei habe ich mich auch umfassend mit der Kulturgeschichte des Strafrechts und der Strafrecht­ler beschiiftigt. Diese umfasst mannigfaltige Konzepte und Prinzipien, Methoden und Institutionen und erstreckt sich in ihrer geografischen Extension von Warschau über Madrid und Lissabon bis nach Santiago de Chi le und Mexiko. Es handelt sich um nichts Geringeres als den Einflussbereich Franz von Liszts und des kontinenta­len Rechtssystems.6

Der herausragende wissenschaftliche und menschliche Charakter Jeschecks er­hiilt seine Pragung erstens durch eine solide wissenschaftliche Ausbildung mit Abi­tur und Studium, zweitens durch zehn lange Jahre Militardienst und Kriegs­gefangenschaft und drittens in der Nachkriegszeit durch den personlichen und kollektiven lmpetus beim materiellen und geistigen Wiederaufbau Deutschlands.

Arbeit, Zahigkeit, Systematik und die Fiihigkeit, über den Tellerrand hinaus­zublicken, gehüren zweifellos zu den personlichen Qualitiiten, die es moglich ge­macht haben, diese drei Lebensabschnitte7 fruchtbar werden zu lassen und den Charakter Jeschecks zu schmieden.

6 Arroyo Zapatero, L., Los juristas de la Junta de Ampliación de Estudios (Die Juristen und die JAE), in: Traspasar fronteras (Über Grenzen hinweg). Un siglo de intercambio científico entre España y Alemania (Ein Jahrhundert deutsch-spanische Wissenschafts­beziebungen). Madrid. CSIC-DAAD 2010, S. 267 f.

7 Für die biografischen Einzelheiten, vgl. Sieber, [.i ., Hans-Heinrich Jescheck zum Ge­dacbtnis . Zeitschrift fü r die gesamte Strafrecbtswissenschaft, 121 (2009), 8 13- 828; Lei­binger, R., Hans-Heinrich Jescbeck zum 70. Geburtstag, in: T. Vogler (Hrsg.), Festschrift für Hans-Heinricb Jescbeck zum 70. Geburtstag. Berlin 1985, S. 1- 1 O; Dreher, E., Hans­Heinrich Jescheck in der GroBen Strafrechtskommission, in: T. Vogler (Hrsg.), Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Berlín 1985, S. 11-35. Sowie Jescheck, H. -H., Strafrechtlicbe Lehrjahre in Freiburg und Tübingen (Tübinger Un iversitiitsreden, Tübingen, Band 39, S. 9 ff.) , in: H.-H. Jescheck, Beitrage zum Strafrecht. 1980-1998 (hrsg. von T. Vogler). Berlín 1998, S. 63 1 ff. , zitiert als ,,Lehrjahre"; Jescheck, H. -H., Selbstdarstellung, in: E. H ilgendorf (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Berlin, New York 20 10, S. 169 ff. ; über die Kriegsgefangenschaft Jescheck, H.-H. , Erinnerungen an das Centre d'études pour prisonniers de guerre alle-

Luis Arroyo Zapatero 111

Die Grundlegung für die Wissenschaft erfolgte an der exklusiven Humboldt­schen Ritterakademie seines Geburtsorts Liegnitz, die den Stadtschülern offen­stand. Auf dem Lehrplan damals standen Latein, Griechisch, Kunst, Geschichte und Archaologie. Welche Zeiten!

Auf der bereits erwahnten Studienreise nach Magna Grecia, von Athen nach Sy­rakus, genaugenommen auf der Akropolis, füllt die Entscheidung, Professor zu werden. Yom Glanz des Erechtheion erhellt, spürt Jescheck in diesem magischen Moment die Hand des grof3en Archaologen Wilhelm Dorpfeld auf seiner Schulter. Diese Geste genügt, um im jungen Jescheck das Feuer der Wissbegier zu entzün­den. Vor diesem Hintergrund verwundert auch die Themenwahl seiner Abiturrede nicht: ,,Der Geist von Weimar und der Geist von Potsdam" - nicht mehr und nicht weniger!8

Auch die Studienzeit war für unseren verehrten Jescheck keineswegs gewohn­lich. Denn schon als Student des ersten Semesters wurde er zu seiner Überraschung und Freude von seinem Professor für Zivilrecht Fritz Pringsheim zur soirée privée und famililirem Empfang für Doktoranden und Mitarbeiter eingeladen, was blei­benden Eindruck bei ihm hinterlassen sollte. Danach kamen andere Lehrer, Erik Wolf und Eduard Kem. Er horte die Rektoratsrede von Martin Heidegger, welcher er nach eigenem Bekunden jedoch nicht die Bedeutung beigemessen hatte, die die­se spater erfahren sollte.9 Aber mit ihm gab es im zweiten Semester Momente gro-13erer personlicher Nahe. Damals übemachtete er als junger Skilaufer in dem Bau­ernhaus, wo der Rektor - auch ein begeisterter Skifahrer - Halt machte, um sich mit dem taglichen Milchvorrat für seine bekannte Hütte in Todtnauberg einzu­decken. 10 Trotzdem sollte es nicht Heidegger sein, der Einfluss auf den jungen Je­scheck ausübte, sondem sein Lehrer und Heideggers Nachfolger als Rektor, Eduard Kern.

Wir konnen uns heute fragen, welche personliche Haltung gegenüber dem Re­gime ein junger Mann hatte, der sein Studium sechs Monate nach der Machtergrei­fung der Nationalsozialisten aufgenommen hatte; ob seine Personlichkeit - durch Bildung fem eines jeden Extremismus - stark genug war, sich dem martialischen Zeitgeist zu widersetzen, oder ob sie sich von jenem Mefistofeles, der Ordnung, Rasse und materiellen Fortschritt versprach, verführen lief3. Um dies zu beurteilen,

mands in St. Denis 1946/47 (Erstveriiffentlichung in: Bildung und Erziehung [BuE 36), Heft 1/Mlirz 1983, 69- 75), Jahrbuch der Jurist ischen Ze itgeschichte, Baden-Baden, Bd. 3, 200112002, S. 60 ff

R Selbstdarstellung, S. 170. 9 Lehrjahre, S. 634. 10 Lehrjahre, S. 632. Über die Gegebenheiten an der Universitlit Freiburg und den da­

maligen Rek:tor vgl. Lówith, K., Mi vida en Alemania antes y después de 1933. Un testi­monio (1940), übersetzt von R. Zauner. Madrid 1992. (Dt.: Mein Leben in Deutscbland vor und nacb 1933. Ein Bericht. Neu berausgegeben von F.-R. Hausmann, mit einem Vorwort von R. Kosellek, 2. Aufl. 2007).

112 Teil 4: Brücken in die Welt - internationale Aktivitiiten

ist uns nur ein Detail bekannt: Der Dekan der juristischen Fakultat hatte eine Kon­ferenz über die Juristenausbildung anberaumt. Der Studentenführer verbot jedoch die Teilnahrne der Studenten. Jescheck bot ihm die Stirn und nalun an der Konfe­renz teil. Di es brachte ihn in den Ruf politischer Unzuverlassigkeit und erschwerte ihm das Leben bis zu dem Punkt, an dem sein Lehrer und damaliger Rektor ihm riet, das kommende Semester in Gottingen zu verbringen.11

Aus dem Blickwinkel eines heutigen Studenten mag diese Anekdote nicht weiter relevant wirken. Wer aber die Diktatur am eigenen Leib gespürt hat - vielleicht sogar als Jurastudent - , weil3, dass die Debatte über die Juristenausbildung eine politisch aul3erst heikle Angelegenheit ist. Offentlich dem Studentenführer zu wi­dersprechen war ein Akt des Widerstands und der Bestatigung der personlichen Würde gegenüber diktatorischer Willkür. Dazu braucht es Mut und Gewissen. Je­scheck selbst spricht vom verstürenden Eindruck, den die Ereignisse dieser düste­ren Zeit auf ihn gemacht hatten, wie etwa der Anblick der brutalen ZerstOrung des jüdischen Studentenverbands Neofriburgia. Viel groBer noch muss der Schrecken der Reichskristallnacht von 1938 gewesen sein, der ihm ,,die Augen geoffnet" hat.12

Als Soldat kampft Jescheck einen zehn Jahre langen Krieg- die ersten beiden als Wehrpflichtiger, die folgenden sechs Jahre als Frontsoldat und Offizier, gefolgt von zwei Jahren Gefangenschaft im Offizierslager. Seine militarische Laufbahn verlauft geradlinig vom Rang des einfachen Soldaten bis zum Hauptmann. Dabei füllt auf, dass er jede Freistellung vom Fronteinsatz sowie verletzungsbedingte Be­urlaubungen - er wurde dreimal schwer verwundet - für das Studium und die per­sonliche Bildung nutzt. Es ist eine au13ergewohnliche Kombination von Kriegsfront und Schreibtisch. So gelingt es ihm, sich erfolgreich auf das Assessorexamen vor­zubereiten und direkt nach seiner Rückkehr ins zivile Leben in den Justizdienst aufgenommen zu werden. Dazu sollten zwei weitere Umstande kommen, die sein spateres Leben positiv beeinflussten.

Der erste ist der Offizierslehrgang an der École Militaire in Paris. Der zweite seine Teilnahme an der Organisation der Universitatslager für Kriegsgefangene. Dort erha!t er den Ruf auf seinen ersten Lehrstuhl - einen echten feldlehrstuhl! -für Strafrecht. Diese Erfahrung findet sich in der eben erschienenen Selbstdarstel­lung sowie in den Memoiren, die zu diesem Thema in der Zeitschrift für juristische Zeitgeschichte erschienen sind. Diese Zeitschrift unter der Leitung von Thomas Vormbaum ist ja bekanntermaf3en das Flaggschiff für juristische Zeitgeschichte und Kultur der deutschen und europaischen Strafrechtswissenschaft. 13 Ich selbst

11 Selbstdarstellung, S. 171. 12 Lehrjahre, S. 634. 13 Erinnerungen an das Centre d 'études pour prisonniers de guerre allemands in

St. Denis 1946/47, Jahrbucb der Juristischen Zeitgeschichte. Baden-Baden, Bd. 3, 2001/2002, S. 60 ff.

Luis Arroyo Zapatero 113

hatte die Gelegenheit, diese Geschichte aus seinem Mund zu horen, als wir uns im September 2005 anlasslich eines Seminars für die Chemins de l' harmonisation tra­fen und ihn zur Sprechstunde in seinem kleinen Büro aufsuchten. Bei diesem Tref­fen waren der Direktor Ulrich Sieber, Mireille Delmás-Marty, Mark Pieth und ich anwesend. Natürlich gab es dabei Gelegenheit, seinem wunderbaren Franzosisch zu lauschen; dies war jedoch vor allem für die Ohren der Professorin des College de France bestimmt.

,,Denken Sie daran, dass die Wehrpflicht damals unausweichlich war, und die Kriegsteilnahme patriotische Pflicht." So erkJarte Jescheck seinen Studenten seine zehn Jabre in Uniform. Heute gibt es keine allgemeine Wehrpflicht mehr, und als Folge und Erfolg des Zweiten Weltkriegs lasst sich kein ethnischer oder geografi­scher Patriotismus mehr rechtfertigen. Es bleibt einzig und allein Raum für das, was Stemberger und Habermas mit groBem Erfolg den ,,Patriotismus der Verfas­sung" genannt haben. Dabei mochte ich hervorheben, dass Patriotismus für Je­scheck stets bedeutet hat, durch harte Arbeit das Beste für seine Nation zu er­reichen. Das tut er bereits im Offizierslager, wo er seine Zeit damit verbringt, die Auslandspresse der Alliierten gleichsam zu verschlingen, um tiber mogliche For­men des politischen und moralischen Wiederaufbaus Deutschlands nachzudenken. Dies tat er aber auch bei der Wahl seines Habilitationsthemas, das zweifellos schwierigste und engagierteste für einen deutschen Strafrechtler seiner Zeit: ,,Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach V olkerstrafrecht".

Sein Patriotismus zeigt sich auch, als er auf Bitte des Justizministeriums neben seiner Tatigkeit in der Strafrechtskommission anden Verhandlungen für die Grün­dung einer Europaischen Verteidigungsunion teilnimmt ( 1952). Di es bedeutet gleichzeitig eine auBerordentliche Chance für die Rekonstruktion der juristischen und politischen Beziehungen mit den Westmachten. Filnf Jahre nach seiner Gefan­genschaft beschreibt Jescheck dies als einen ,,atemberaubenden Szenenwechsel".

Aber unser verehrter Jescheck ist nicht nur ein Kampfer fürs Vaterland nach dem Krieg. Er ist auch Internationalist. Das zeigt sich nicht nur in seinem Engagement für die Rechtsvergleichung, sondern auch in dem Bedürfnis, diese Materie in ihren komplexen rechtlichen, geschichtlichen und kulturellen Zusammenhangen zu be­greifen. Dabei hat er sich stets für eine Begegnung ,,auf Augenhohe" mit anderen Landem eingesetzt. Dies zeigt sich aber auch in seiner engagierten Mitarbeit in den internationalen wissenschaftlichen Organisationen des Strafrechts, allen varan der ACDP, deren Prasident er war. Heute nimmt diese Aufgabe José Luis de la Cuesta wahr. 14 Das Gleiche gilt für die SIDS, ab deren drittem Kongress von 1954. Bei

14 Jescheck, H.-H., Der EinfluJ3 der IKV und der AlDP auf die internationale Entwick­lung der modernen Kriminalpolftik. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 92 (1980), 997 ff.; Jescheck, H. -H., Beitrage zum Strafrecht. 1980-1998 (hrsg. von T. Vog­ler). Berlin 1998, S. 495 ff.

114 Teil 4: Brücken in die Welt- internationale Aktivitiiten

meiner eigenen Prasidentschaft hat er mich stets nach Kraften unterstützt.15 Dies alles geschah aus dem tiefen Wunsch heraus, Deutschland zurück in die Welt zu führen und die Welt nach Deutschland zu holen. In seinem Einflussbereich - dem deutschen Strafrecht und der Rechtsvergleichung - ist ihm das offensichtlich voll und ganz gelungen.

Was uns Auslander besonders überrascht, ist die Tatkraft seiner Generation, die ein Land in Ruinen wieder aufgebaut hat. Für den GroBteil der heute hier Anwe­senden ist es schwer vorstellbar,16 wie das Leben in Deutschland und gerade hier in Freiburg - vor allem nach dem schrecklichen Luftangriff vom 27. November 1944 - war. Das Stadtzentrum lag in Schutt und Asche, einzig das Münster erhob sich aus den Trümmern. Es standen kawn noch Universitatsgebaude und es wurde sogar überlegt, die Universitat nach Heidelberg zu verlegen. Zeugni s von der Zerstürung der Stadt und der Universitat liefert tms auch der provisorische Rektor,17 der erst einige Stunden vor der Besatzung durch die Franzosen eingesetzt worden war. Für die damaligen Verhaltnisse ist auch der Bericht eines ganz besonderen Deutschen erhellend, der Freiburg in jenen Tagen in der Uniform eines franzéisischen Offiziers besuchte: Alfred Déiblin, Autor von ,,Berlin Alexanderplatz".18

In dieser turbulenten Epoche ist es ein Leichtes, schlechte Beispiele zu finden. Aber Jescheck fand eine weit gréil3ere Zahl von vorbildlichen und aufrechten Per­séinl ichkeiten, als es diese Zeiten auf den ersten Blick vermuten lassen. Er bewun­derte die Klarheit und den Sprachstil von Fritz Pringsheim, die rhetorische Bega­bung von Erik Wolf und die praktische Herangehensweise an das Strafrecht von Eduard Kern. Vom Ersten - ins Exil Gezwungenen - Jernte er auBerdem die schrecklichen Konsequenzen des Rassismus kennen. Von den beiden Letzteren sollte er Jernen, was perséinl icher Mut bedeutet, nicht im militarischen Sinne, son­dern gegenüber der Zivilgesellschaft: Der Mut von Erik Wolf zeigt sich in der Ab­kehr von seinem Sündenfall von 1933 und der tatigen Reue in Fonn seiner Annahe­rung an die Kreise des Widerstands. Eduard Kem hat den Mut aufgebracht, 1943 in der bekannten Denkschrift an den Reichsjustizminister Willkür und illegales Han­deln der Polizei anzuprangern.19

15 Jescheck, H -H., Rechtsvergleicbende Bemerkungen zur Neugestaltung des Mindest­programms der Défense Sociale. Festschrift für Günter Blau. Berlin 1985, S. 425 ff., in: Jescheck, H.-H., Beitrlige zuro Strafrecht. 1980-1998 (hrsg. von T. Vogler). Berlin 1998, S. Sil ff.

16 Ein Oberblick findet sich bei .'vfacdonogh, G., Después del Reicb. Crimen y castigo en la postguerra alemana (After the Reicb. From the Liberation of Vienna to the Berlin Airlift, ed. J. Murray-, 2007). Übersetzung von. J.L. Gil Aristu. Barcelona 2010.

17 Ein Bericbt des Rektors über j ene Tage findet sich bei Sigurd Janssen, Wikipedia, de.wikipedia.org/Wiki/Sígurd-Janssen [Stand: Dezember 2010].

18 Doblin, A., Scbicksalsreise, Bericht und Bekenntnisse. Frankfurt a.M. 1949, S. 420-422.

19 Siehe Lehrjahre, S. 635.

Luis Arroyo Zapatero 115

Dieser Mut zeigt sich noch mehr in der engen und vertrauensvollen Beziehung

zu einer bemerkenswerten Gruppe von Professoren: Grossman-Doerth, Constantin von Dietz, Walter Eucken, Franz Bohrn, den Gründern der f reiburger Schule des

Ordoliberalismus, die auch Teil des Widerstands waren. Sie zahl ten zum Bonhof­fer-Kreis der Bekennenden Kirche.20 Mit einem Gro13teil von ihnen pflegte Je­scheck einen innigen Kontakt wahrend seiner diversen Heimaturlaube von der Front. In den geheimen Unterredungen erhielt er wesentliche Hinweise, um sich selbst ein Bild von der tatsachl ichen Lage Deutsch lands im lnneren und nach auBen zu machen, und über die Zeit nach der sicheren Katastrophe nachzudenken. Die damals angestellten Überlegungen waren ihm sehr nützlich für die Diskussionen und die personliche Vorbereitung in der Lageruniversitat sowie im ,,Centre d 'études pour prisonniers de guerre allemands".

Für Jeschecks Charakterbildung spielt aber neben seinen Lehrern, seiner uner­müdl ichen Schaffenskraft, seinem Schneid wie bei a llen groBen Mannern nicht zuletzt das Glück eine entscheidende Rolle.

Es braucht eben eine Portion Glück, um so viele Kriegsjahre zu überleben, wah­rend der Gefangenschaft Teil der Lageruniversitat zu werden, dort seinen ersten Lehrauftrag zu erhalten , die franzosische Lagerleitung zu beeindrucken, schliel3lich nach Bonn zu kommen und beim Aufbau der ersten Beziehungen des neuen Deutschlands in París zu helfen, in der grof3en Kommission für Strafrechtsreform mitzuwirken und auf diese Weise sein verlorenes Oberseminar nachzuholen, um schliel3l ich an der Wiederbelebung der alten wissenschaftlichen Gesellschaften

teilzunehmen. Glück war es auch, sich neben grof3er Arbeit und Einsatz zwischen Freiburg, Bonn und Tübingen bei Kern zu habilitieren und gleichzeitig den Lehr­

stuhl und das lnstitut von Schonke zu übernehmen. Glück war es, Adolf Schonke als steten Mentor an seiner Seite zu haben. Dieser - in Berlin Schüler von Graf von

Gleispach und Kohlrausch - kannte von der Berliner Fakultat hervorragend - wie das Anna Maria Grafin von Losch21 brillant beschreibt - das Kriminalistische lnsti­tut von von L iszt und die Institute für Auslands- und Wirtschaftsrecht sowie für auslandisches Recht und Volkerrecht und das für auslandisches und internationales

Privatrecht, welches die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu Beginn der l 920er Jahre gegründet hatte.

Schonke wurde 1938 Professor in Freiburg und erhielt aus Berl ín den Auftrag, ein fnstitut für au sland isches und internationales Strafrecht zu gründen. Den ganzen Krieg über reist er zwischen Berlín und Freiburg hin und her. Dabei ergibt s ich eine interessante Verbindung mit dem OKW - für die Jüngeren : ,,Oberkommando der Wehrmacht" - unter der Leitung von Admira! Canaris. Nach 1945 ist Schonke un-

2º Weiterführende Informationen steUt das Walter-Eucken-Jnstitut zur Verfügung. http://www.walter-eucken-institut.de/

21 Grajin von Losch, A.M, Der nackte Ge ist. D ie juristische Fakultat der Berliner Uni­versitat im Umbruch von 1933. Tübingen 1999.

116 Teil 4: Brücken in die Welt - internationale Aktivitaten

ermüdlich mit dem Wiederaufbau der internationalen juristi schen Beziehungen und der Wiederbelebung der wissenschaftlichen Gesellschaften beschaftigt. Eine Auf­gabe, bei der er fest auf Jescheck vertraut. Angesichts seines Erfolgs auBert der alte Kohlrausch verbittert, dass Schonke sich ab dieser Zeit nur als Schüler von James Goldschmidt vorstellen sollte.22 Aber was uns hier interessiert, ist die Tatsache, dass er Jescheck stets unterstützt hat.

Zu guter Letzt zeigt sich das besondere Glück Jeschecks darin, dass er im Lauf seines langen Lebens in den Genuss so vieler Schüler, Freunde und Bewunderer aus der ganzen Welt gekommen ist. Glück ist auch heute, zwei Nachfolger an dem von ihm gegründeten Institut zu haben, die ihm zu Lebzeiten und darüber hinaus zur Ehre gereichen und die über fünfzig Jabre nach seiner Yorlesungsantrittsrede das wissenschaftliche Forschungsprogramm des lnstituts emeuert und den Heraus­forderungen der materiellen und geistigen Situation unserer Zeit angepasst haben.

22 Grtifin von Losch, A.M., a.a.O., S. 343 .

Spanien

Professor Dr. Dr. h.c. mult. luis Arroyo Zapatero1

Prasident der Société Intemationale de Défense Sociale Universit!it zu Castilla-La Mancha

Hans-Heinrich Jeschecks akademischer Einf1uss in Spanien sowohl in person­licher Weise wie auch als Direktor des Instituts für ausl!indisches und intemationa­Jes Strafrecht in Freiburg seit seiner Berufung 1954 ist bemerkenswert. Um jedoch die ganze Bandbreite seines Wirkens zu begreifen, ist zunachst ein Blick auf die engen wissenschaftl ichen Beziehungen zwischen deutschen und spanischen Straf­rechtlem seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts n6tig.

Die Tradition spanischer Juristen, sich an deutschen Universitaten ausbilden zu lassen, beginnt im Jahr 1907. Über die Halfte der 150 Juristen, die zwischen 1907 und 1936 van der spanischen Regierung ein Forschungsstipendium für ausl!indi­sche Universitaten erhalten hatten, wahlte Deutschland als Ziel. Dies gilt ebenso für das Strafrecht wie für das politische und das Verfassungsrecht. lch habe mich diesem Thema ausführlich im eben erschienenen Buchkatalog anlasslich des hun­dertjahrigen Bestehens der wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien gewidrnet.2 Hier muss es genügen zu erwahnen, dass bereits vor dem Ersten Weltkrieg das Kriminalistische Seminar van von Liszt drei spanische Schü­ler hervorgebracht hatte: Saldaña, Cuello Calón und Luis Jiménez de Asúa. Letzte­rer sollte der Berühmteste werden. Dies liegt zum einen am titanenhaften Umfang seiner Arbeit, die in Spanien und ab 1939 im lateinamerikanischen Exil entstanden ist. Zum anderen an der groBen Zahl illustrer Schüler auf beiden Kontinenten. Das Lehrbuch von von Liszt wurde von Saldafta und Asúa ab 1914 übersetzt und kom­mentiert und war seitdem das Lehrbuch par excellence.3 AuBerdem sei an dieser

1 Übersetzung aus dem Spanischen van Axel-Dirk Blumenberg, wiss. Mitarbeiter am Tnstitut für Europaisches und Tntemationales Strafrecht der Universitat van Castilla-La Mancha, Spanien.

2 Arroyo Zaptero, L., Los juristas de la Junta de Ampliación de Estudios/Die Juristen und die JAE, in: Traspasar fronteras (Über Grenzen hinweg). Un siglo de intercambio científico entre España y Alemania (Ein Jahrhundert deutsch-spanische Wissenschaftsbe­ziehungen. CSIC-DAAD, Madrid 2010, S. 28 1 ff. Für einen umfassenden geschichtlichen Überblick vgl. V. Cernuda/H Wegener (Hrsg.), España y Alemania, Percepciones mutuas de cinco siglos de historia. Editorial Complutense Madrid 2002.

3 Von Liszt, F., Tratado de Derecho Penal. Übersetzung der 18. Aufl ., ergii.nzt durch Historia del Derecho Penal en España von Q. Saldaña. l. Aufl. Band I ( 1914 ), Madrid.

Brücken mit Spanien

122 Teil 4: Brücken in die Welt- internationale Aktivitiiten

Stelle die Eroffnungsrede des ersten akademischen Jahres der spanischen Republik 193 l erwiihnt. Vor versammelter staatlicher Autoritat sprach Jiménez de Asúa über die Straftheorie im Sinne von von Liszt. Er war damals Professor in Madrid, sozia­listischer Abgeordneter und Priisident der Verfassungskommission der Republik, unserem Weimar. Für biografische Einzelheiten mochte ich auf den detaillierten Nachruf in der ZStW von 1972 verweisen. Dessen Yerfasser war Heinz Mattes,4

der erste Landesreferent für Spanien des Max-Planck-Instituts für auslandisches und internationales Strafrecht, der uns allen noch als vorbildlicher Referent in Jeb­hafter Erinnerung ist.5

Jeschecks erster Kontakt mit Spanien muss wohl der Auftrag an den Professor und Richter am Obersten Gericht, Antonio Quintana, gewesen sein, das spanische Strafgesetzbuch ins Deutsche zu übersetzen. Der zweite Kontakt war 1957 die An­kunft des ersten spanischen Gastes hier am Institut, Marino Barbero Santos. Dies sollte nur die Ouvertüre zu einem regen und fruchtbaren wissenschaftlichen Aus­tausch sein. Die Reise nach Freiburg erfolgte damals per Bus für spanische Gast­arbeiter. An der Bushaltestelle in La Junquera kamen die einzigen Reisenden, die Krawatte trugen, schnell miteinander ins Gesprach. Die Überraschung war wohl umso groBer, als beide feststellten, dass der Grund für ihre Reise nach Deutschland gleichennaBen die Aspiration für eine Professur im Strafrecht war. José Cerezo war auf dem Weg von Madrid nach Bonn zu Hans Welzel, um aus der Quelle des Fina­lismus zu trinken. Marino Barbero - nach abgeschlossener Doktorarbeit in Bologna bei Silvia Ranieri - reiste von Salamanca nach Freiburg.6 Beide waren Schüler von José Antón Oneca, seinerseits Schüler von Jiménez de Asúa.

Jeschecks niichster Kontakt mit Spanien war der zu einem der herausragendsten spanischen und iberoamerikanischen Strafrechtler: Luis Jiménez de Asúa. Er lemt ihn als Vizepriisident der AlDP auf dem Kongress in Rom im September 1953 kennen. Dort wird einstimmig die Wiederaufnahrne der deutschen Landesgruppe beschlossen, die damaJs von SchOnke geleitet wurde. Nach dessen überraschendem Tod füllt diese Aufgabe alsbald Jescheck zu.7 1957 reist Jiménez de Asúa auf Ein­ladung von Jescheck und Würtenberger anliisslich einer Konferenz der kriminal­biologischen Gesellschaft nach Freiburg. Dort hiilt er einen Vortrag mit dem Tite!

Bd.lI (1916) und Bd. Ilr (1917) enthalten die Übersetzung der 20. Aufl. des Lehrbuchs von F. von Liszt durch L. Jiménez de Asúa.

4 .'v!attes, H., Luis Jiménez de Asúa. Leben und Werk. ZStW 84 (1972), 149- 197. 5 Niiher zu Mattes vgl. Barbero Santos, Heinz Mattes in Memoriam. Anuario de dere­

cho penal y ciencias penale 1974, 5- 24. 6 Jescheck, H-H., Sobre la vida y obra de Marino Barbero en su relación con Alemania,

in: L. Arroyo Zapatero/!. Berdugo Gómez de la Torre (Hrsg.), Homenaje al Dr. Marino Barbero Santos in memoriam. Cuenca 2001, S. 25- 36.

7 Jescheck, H -H., Selbstdarstellung, in: E. Hilgendorf (Hrsg.), Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Berlin, New York 2010, S. 179- 181.

Luis Arroyo Zapatero 123

,,Das spanische Rechtsdenken und sein Einfluss in Europa",8 der erheblichen An­klang fand. Bei dieser Gelegenheit kommt in Freiburg der erste Kontakt zwischen Strafrechtlern im Exil und der neuen Generation junger spanischer Strafrechtler im lnland zustande.

Jeschecks Einfluss im spanischen Strafrecht manifestiert sich heute in der allge­meinen Strafrechtstheorie, vor allem aber in der Kriminalpolitik und in der Rechts­vergleichung. All dies ist zweifellos von grol3er Wichtigkeit, den wohl grol3ten Ein­fluss hat er jedoch personlich ausgeübt, als grol3zügiger und wohlwollender Gastgeber für Dutzende junger Spanier. Unter ihnen der am 31. Dezember 2009 verstorbene Antonio Beristáin, Emeritus von San Sebastián, Jesuit extra ordinem und Lehrer von José Luis de la Cuesta.

Jeschecks personliche und wissenschaftliche Anziehungskraft war so grol3, dass der eben erwahnte José Cerezo Mir - gegenwartig unsere hochste fachliche und altehrwürdigste Autoritat - mir vor einigen Tagen bekannt hat, dass ihm damals nahe gelegt wurde, sein akademisches Werk nicht allein mit Welzel im Gepack zu bestreiten, und er so seinen Weg zu Jescheck fand. Enrique Gimbemat verbrachte Ende der 1960er Jahre ebenfalls Jange Zeit am Institut und verfasste dort seinen Bericht über Spanien für ,,Das auslandische Strafrecht der Gegenwart".9

Von der jüngeren Generation mochte ich vor allem José Luis de la Cuesta - den Prasidenten der AIDP - , Juan Carlos Carbonell, Emiliano Borja - beide hier anwe­send - und José Luis Díez Ripolles - unseren wohl wichtigsten Kriminologen -nennen. Mich selbst kann ich an dieser Stelle nicht erwiihnen. Ich war zwar über lange Jahre hauftg Gast in freiburg, allerdings am lnstitut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht unter der Leitung von Klaus Tiedemann, meinem Lehrer und guten Freund. Dieses Institut war der zweite Pfeiler der Freiburger Brücke in die spanischsprachige Welt. Gerade ist die spanische Übersetzung von Tiedemanns ,,Wirtschaftsstrafrecht" unter der Leitung von Manuel Abanto und Adán Nieto er­schienen. Sie wurde im Dezember 2010 publiziert und unter dem Vorsitz von Ce­rezo Mir und Rodríguez Mourullo in Madrid vorgestellt.10

Den grol3ten wissenschaftlichen Einfluss übte Jescheck natürlich über sein Lehr­buch aus. Dies gilt umso mehr ab dem Erscheinen der exzellenten Übersetzung von Francisco Muñoz Conde und Santiago Mir Puig, die umfangreich kommentiert Eingang in das spanische Strafrecht fand.11 A b 198 l war es das Lehrbuch schlecht-

8 Jimenez de Asua, ZStW 70 (1958), 475 ff. 9 Gimbernat Ordeig, E., Das spanische Strafrecht, in: E. Mezger/ A. Schonke/

H.-H. Jescbeck (Hrsg.), Das auslandische Strafrecht der Gegenwart, Bd. 6. Berlín 1982, s. 301 ff.

JO Tiedemann, K., Manual de Derecho Penal Económico. Parte General y Parte Espe­cial. Valencia 2010.

11 Jescheck, H.-H., Tratado de Derecho Penal, Parte General. Übersetzung und Kom­mentierung von .\1ir Puig und Muñoz Conde, 2 Bande. Barcelona 1981. lm Anschluss

124 Tei l 4: Brücken in die Welt - internationale Ak"tivitaten

hin, nicht nur für die juristische Ausbildung, sondem auch für die hOchsten Instan­zen der Rechtspraxis. Speziell hervorzuheben ist die Darstellung der Grundlagen des Rechts, der Strafjustiz und vor allem des Humanismus, die sich besonders gut in die spanische Rechtstradition einfügt und für die Bedürfnisse des Neuaufbaus in Lehre und Praxis der Grundrechte zum richtigen Zeitpunkt kam.

Auf der anderen Seite entscharfte sein Lehrbuch die Diskussion über die moder­ne Straftheorie. Jeschecks soziale Handlungslehre sah die Überwindung des Kausa­lismus als selbstverstandlich an: Man müsse kein Finalist sein, um den Vorsatz als Tatbestandselement zu begreifen, neue Losungen für den Tatbestands- und Verbots­irrtum anzubieten und zwischen dem vorsatzl ichen und fahrlassigen Unrechtstat­bestand sauber zu differenzieren. Dies alles war von enormer Wichtigkeit für ein Land wie Spanien, das noch bis Ende der 1970er Jabre an der klassischen Theorie des Kausal ismus festhielt. 12 Die Kausalisten und die kleine Festung des spanischen Finalismus standen unter starkem dogmatischem Beschuss und waren kurz davor, durch die vereinten Angriffe von Gimbernat, Muñoz Conde, Diego Luzón Peña und Santiago Mir Puig zu fallen. Das Lehrbuch stellte eine Aktualisierung der Straftheorie ausgehend von dem vermittelnden Ansatz des Werks von Wilhelm Gallas - dem Lehrer Jeschecks in seiner Reifezeit - dar. Allerdings in einer berei­nigten Form und mit den Eigenschaften, die er an seinem frühen Lehrer Eduard Kem bewunderte: mit Realitatssinn und der Bereitschaft, auf die Bedürfnisse und Sorgen der Praxis einzugehen, inklusive der kriminologischen Ansatze, worüber Hans-JOrg Albrecht in seinem Beitrag ausführlich berichtet. Auf die dogmatischen Aspekte geht Claus Roxin auch hier auf magistrale Weise ein und nennt Jescheck

wurden zwei weitere Auflagen von anderen Übersetzem herausgegeben, was jedoch nichts an der grundlegenden Bedeutung der ersten Auflage geandert hat. Die 4. Auflage der deut­schen Fassung wurde 1993 von Manzanares Samaniego übersetzt. Die darauf folgende Auflage - ab diesem Zeitpunkt zusarnmen mit Thomas Weigend herausgegeben - wurde von Olmedo Cardenete 2003 übersetzt.

12 Der nachhaltige Eintluss des Kausalismus im spanischen Recht geht auf die Überset­zung des Lehrbuchs von .\1Jezger durch Rodriguez Muñoz im Jahr 1957 zurück. Dies hebt Muñoz Conde in der euauflage dieser Übersetzung in Buenos Aires (20 10) hervor. Für den Zeitraum des Endes der Dikutur vgl. .\.1adlener, K./Papenfruss, D. und Schone (Eds.), Strafrecht und Strafrechtsrefonn. Referate und Diskussionen eines Symposiums der Ale­xander von Humboldt-Stiftung. Bamberg 1974, dabei vor allem die Beitrage von Barbero Santos und Muñoz Conde. Weiterführend auch Hünerfeld, P., Die Beziehungen der deut­schen zur spanischen Strafrechtswissenschaft, in: H. J. Hirsch (Hrsg.), Deutsch-Spanisches Strafrechtskolloquium 1986. Baden-Baden l 987, S. 3 tf.; Strien, A., Einflüsse des deut­schen Strafrechts auf die j üngere Strafrechtsreforrnbewegung in Spanien. Berlín 1992. Zum Stand der deutsch-spanischen Beziehungen in der Strafrechtswissenschaft, vgl. jüngst Goltdammer's Archiv für Strafrecht, Decker, 6/2010: Wolter, J., Beitrage zur spanisch­deutschen Strafrechtswissenschaft (Zur Modernisierung des Strafrechts - Vorwort mit weiteren Literaturbinweisen), S. 305- 306, Silva Sánchez, J -M , Herausforderungen eines expandierenden Strafrechts, S. 307-322; Gracia ;\1artín, L., Über d ie notwendige Moder­nisierung des Strafrecbts in der deutschen und spanischen Dohrin, S. 323-352; Schüne­mann, B., Der deutsch-spanische Strafrechtsdialog im Zeitalter der autoritat-dilettantischen Gesetzgebung. Modernisierung des Strafrechts in der deutschen und spanischen Doktrin, S. 323-352.

Luis Arroyo Zapatero 125

einen grof3en Vermittler. Dies reprasentiert der beeindruckende rechtsvergleichende Teil des Lehrbuchs. Darin findet sich eine groJ3e Vielzahl von Rechtsordnungen, die es dem Leser moglich macht, sich mit den theoretischen und rechtspolitischen Stromungen der Gegenwart umfassend vertraut zu machen. Jescheck setzte damit der ldee der Strafrechtswissenschaft als internationaler Kulturgemeinschaft ein Denkmal. Diese Idee fand in der Sprache von Cervantes in Spanien und ganz La­teinamerika groJ3en Anklang. Seit der Erstauflage von 1981 folgten zwei weitere Aufl agen.

In seinen Monografien, Aufsatzen und Vortragen war Jescheck ein groBer Ver­fechter des Ausgleichs zwischen Dogmatik und Kriminalpolitik und ebnete damit den Weg für eine maximale lntegration beider, die schlief31ich im Werk von Roxin mündete. 13 Jescheck analysiert und formuliert das groJ3te und tiefgreifendste Pro­gramm für eine Kriminalpolitik der Gegenwart. Die deutsche Strafrechtsreform, die offizielle und der Alternativentwurf, war für ihn ein unerschOpfl icher Erfahrungs­schatz seit seiner Zeit in der groBen Strafrechtskommission.

Ali seine Forderungen stieBen irn demokratischen Spanien auf offene Ohren, vom ersten Reformprojekt an, das der Minister Lavilla im Oktober 1977 beim ers­ten Kongress der spanischen Landesgruppe der AIDP14 (diesen Kongress hatte Ma­rino Barbero organisiert und Jescheck den Vorsitz angeboten) vorgestellt hatte, über die zahlreichen weiteren Reformprojekte bis schlief31ich zur Verabschiedung des neuen spanischen Strafgesetzbuchs von 1995. Seit 1977 ist Spanien das Ver­suchslabor der europaischen Kriminalpolitik. Zunachst werden die Kriminalpolitik und das Strafverfahren von jeglichen moralisierenden Elementen befreit. Dies gilt auch für die Reform des Strafvollzugsrechts im Jahr 1979.

1983 erfolgt eine groBe Reform des AT und des BT sowie eine weitere 1989. In der Zwischenzeit (1986) unternimmt Jescheck eine gran tour spanischer Universi­taten, organisiert von Antonio Beristáin (San Sebastián), Fernández Albor (Santia­go de Compostela) und Marino Barbero (Madrid). Dabei halt er drei monumentale Konferenzen ab, in denen er die damalige spanische Strafrechtsreform durchdenkt, sie beurteilt und Orientierungsvorschlage macht.15 Die Übersetzer dieser Konferen­zen waren José Luis de la Cuesta, José Luis Díez Ripolles und ich selbst. Die Tite! lauteten: ,,Alternativen zur Freiheitsstrafe in der modernen KriminaJpolitik"; ,,Die

13 Roxin, C., Politica criminal y sistema de Derecho penal. Übers. der l. Aufl. von .'vfuñoz Conde, Barcelona 1972.

14 Alle Beitrage finden sich in der Revue Intemationale de Droit Pénal 1978, Nr. 49/ l. 15 Jescheck, H.-H. , Alternativas a la pena privativa de libertad en la moderna política

criminal. Übers. J. Luis de la Cuesta, La reforma del derecho penal alemán en compara­ción con el derecho penal español actual y futu ro. Übers. L. Arroyo Zapatero, La nueva configuración de lo injusto en la teoría jurídico-penal alemana en comparación con la doc­trina actual española. Ubers. J. Díez Ripollés, in: Tres conferencias de derecho penal. Son­derdruck aus Estudios Penales y Criminológicos, Santiago de Compostela, J ahrgang 1983-1984, Universidad de Santiago de Compostela, Nr. 8, 1985, S. 14-103.

126 Teil 4: Brücken in die Welt - internationale Aktivitaten

deutsche Strafrechtsreform im Vergleich mit dem aktuellen und zukünftigen spani­schen Strafrecht" und ,,Die Neugestaltung des Unrechtsbegriffs in der deutschen Strafrechtstheorie im Vergleich mit der aktuellen spanischen Dogmatik". 1991 ver­offentlicht Jescheck in der Festschrift für lgnaz von Loyola auf Anregung von Be­ristáin einen groBen Aufsatz über das Schuldprinzip.16 Es darf heute zu Recht be­hauptet werden, dass die drei Texte zu groI3en Tei len Eingang in die Genetik des neuen spanischen Strafgesetzbuchs von 1995 gefunden haben.

Jeschecks Einfluss auf das Strafprozessrecht fand hauptsachlich durch seine Re­gentschaft über die Ausbildung der besten Generation spanischer Strafprozess­rechtler am Institut seit Ende der l 970er Jabre statt: Ernesto Pedraz Penalva, Vicente Gimeno Sendra, Manuel Ortells, Juan Luis Gómez Colomer, Víctor Mo­reno Catena, Silvia Varona. Freiburg wurde so zum Ort des Neubeginns der Bezie­hungen der spanischen Prozessualisten mit Deutschland - eine Studientradition, die seit dem spanischen Bürgerkrieg unterbrochen war. 17 Gómez Colomer ist dabei derjenige, der wahrscheinlich den groBten Beitrag zum vergleichenden Prozess­recht zwischen Deutschland und Spanien mit seiner prazisen Übersetzung und um­fangreichen Kommentierung der StPO geliefert hat. So bescheinigt es ihm Jescheck hochstpersonlich im Vorwort der spanischen Ausgabe.

Yon den Arbeiten Jeschecks zum Strafprozessrecht sind diejenigen über Unter­suchungshaft und Beweisverwertung wohl am wichtigsten. Dabei bleibt zu beach­ten, dass im Gegensatz zum materiellen Strafrecht die spanische Demokratie weder die Zeit noch die Konsensbereitschaft aufzubringen geschafft hat, um ein neues Strafprozessrecht auszuarbeiten. Das bedeutet, dass die Strafprozessordnung von 1882 immer noch gilt und nur zogerlich durch den Gesetzgeber und durch Urteile des Verfassungsgerichts reformiert wird.

Der letzte Besuch Jeschecks in Spanien fand im Oktober 2001 statt. Was ur­sprünglich als Prasentation der Festschrift für Barbero geplant war, wurde zum Nachruf. Er wollte seine Frau Lieselotte nicht allein lassen, und Luigi Foffani und

16 Jescheck, H.-H., El principio de culpabilidad como fundamento y límite de la punibi­lidad en el derecho alemán y español. Erstvero ffentlichung in: Libro-homenaje a Ignacio de Loyola, Magíster Artium en Paris 1528- 1535, hrsg. von J . Caro Baroja und A. Beristain. San Sebastián 1991, S. 405-419, und in Eguzkilore, San Sebastián, 9, 1995, S. 25- 38. Deutsche Fassung: Das Schuldprinzip als Grundlage und Grenze der Strafbarkeit im deutschen und spanischen Recht. Beitrage zurn Strafrecht. 1980-1998. Berlin 1998, s. 281-292.

17 Der Tradition der 1920er und 1930er Jahre, in Deutschland zu studieren, fo lgen L. Prieto Castro in München bei Oertmann und Kisch, E. Gomez Orbaneja bei Kisch, Frank und Wenger sowie V Fairén, die das Straf- und Zivilprozessrecht der 1940er bis 1970er Jahre in Spanien pragen sollten. Letzterer hat auf eigene Kosten in Deutschland studiert und übersetzt - eng mit SchOnke verbunden - dessen Zivi lprozessrecht 1950 ins Spanische. N. Alcalá Zamora - bei Beling ausgebildet - bleibt ab 1939 im mexikanischen Exil. Die Tradition eines Studienaufenthalts in Deutschland ist bis in die l 970er Jahre ab­gebrochen, bis sie in Freiburg wieder aufgenommen wird.

Luis Arroyo Zapatero 127

María José Pifarré - hier auch anwesend - begleiteten das Ehepaar nach Toledo. Dort hielt der alte Meister einen emotionalen Nachruf auf den ersten seiner spani­schen Schüler, zusammen mit Berdugo und Muñoz Conde.18 Auf dem Rückweg quartierte sich Jescheck in der Residencia de Estudiantes in Madrid ein. Dies war das berühmte Postgraduiertenkolleg im Madrid der l 930er Jahre, unter ihnen als Gaste der Poet García Lorca, der Maler Salvador Dalí und der Regisseur Luis Buf'iuel - die intellektuelle Elite Spaniens jener Jahre. Jescheck befand sich also in Spanien in bester geistiger Gesellschaft. Es bleibt nur noch zu sagen, dass Hans­Heinrich Jescheck die Brücke zwischen Deutschland und Spanien auf solide Pfeiler gestellt hat!

18 Jescheck, H. -H. , Sobre la vida y obra de Marino Barbero en su relación con Alema­nia, in: L. Arroyo Zapatero/!. Berdugo Gómez de la Torre (Hrsg.), Homenaje al Dr. Mari­no Barbero Santos in memoriam. Cuenca 200 l , S. 25-35.